Es ist schon erstaunlich, was für ein Kunst-Kleinod sich da im Wald der Lüneburger Nordheide versteckt. Verlässt man aus Hamburg kommend die Autobahn hinter Seevetal und lässt das idyllische Städtchen Jesteburg mit seinen Fachwerkhäusern hinter sich, fragt man sich, ob man hier überhaupt noch richtig ist. Spätestens in Lüllau wird es endgültig ländlich: Reiter kommen einem auf Schotterwegen entgegen, alte Höfe und Pferdewiesen liegen am Wegesrand. Doch das Schild lässt keinen Zweifel: Über diesen Waldweg geht es zur Kunststätte Bossard.
Durch ein Tor zum Museumsgarten betritt man das drei Hektar große Gelände. Vorbei an einer Skulpturenreihe gelangt man zum Wohn- und Atelierhaus, dem Herzstück der Kunststätte. Nichts wurde hier dem Zufall überlassen, nichts Profanes begegnet dem Besucher: Von den Mosaiken auf den Böden über die Wandmalereien bis hin zu einem bis auf den letzten Zentimeter bemalten Flügel ist alles künstlerisch gestaltet. Der kleinere Backsteinbau des Kunsttempels nebenan lässt mit seinen dreieckigen spitzen Gauben und den besonders geformten Fliesen in der Fassade erahnen, dass hier ein detailverliebter Künstler am Werk war. Der in Braun- und Grautönen gehaltene Innenraum besticht durch seine expressionistischen Wandmalereien und geschnitzten Holzsäulen.
1911 erwarb der Schweizer Bildhauer Johann Michael Bossard das Grundstück und begann, das Wohn- und Atelierhaus zu bauen, das heute noch in seinem ursprünglichen Zustand bei einer Führung zu besichtigen ist. Zusammen mit seiner Frau Jutta Bossard-Krull errichtete er den Kunsttempel. Die Kunststätte ist ihr gemeinsames Lebenswerk, ihre verwirklichte Idee einer Einheit von Leben und Kunst. Seit 1997 ist sie als Museum für die Öffentlichkeit zugänglich.
Skulpturen aus Marmor und Sandstein, Reliefs aus Kupfer, bunte Glasfenster und Keramiken – Bossard verwendete nicht zufällig den Begriff des Gesamtkunstwerks für seine Wohn- und Arbeitsstätte, erklärt Gudula Mayr, Leiterin der Kunststätte: „Er war ein großer Wagner-Fan, alle Wagner-Libretti, die in seiner Bibliothek stehen, sind geradezu zerlesen.“ Wie Wagner in seinen Opern ging es Bossard um das Zusammenspiel der Künste. Hier mischen sich Malerei, Bildhauerei, Architektur, Kunstgewerbe und Gartenkunst. Zudem finden sich in seinen Werken inhaltliche Bezüge zur Ring-Tetralogie.
Von daher ist es nicht überraschend, dass beim Festival SommerKlang auch Wagner auf dem Programm steht. Die Idee zum Festival hatte die 21-jährige Pianistin Annika Treutler. In der Kunststätte war sie bereits aufgetreten, der Ort inspirierte sie dazu, ein eigenes Programm zu gestalten. „Hier herrscht eine ganz besondere, konzentrierte Stimmung, die Besucher bringen Zeit und die Offenheit mit, sich auf die Kunst einzulassen.“ Ein besonderes Anliegen ist es ihr daher auch, nach den Konzerten zum Austausch mit den Besuchern zusammenzukommen, den Konzertabend inmitten von Bossards Kunst ausklingen zu lassen. Um die Zusammenhänge zwischen dem Inspirator Wagner und dem Bildenden Künstler Bossard deutlich zu machen, werden Themenführungen angeboten.
Neben Wagner bilden Werke von Brahms einen Schwerpunkt des Programms. Außer Annika Treutler selbst werden das in Hamburg durch seine Reihe in der Laeiszhalle bekannte Amaryllis Quartett und die Altistin Ingeborg Danz auftreten. „Brahms ist mein absoluter Lieblingskomponist, und das Klavierquintett wollten meine Freunde vom Amaryllis Quartett und ich immer schon mal spielen“, erklärt Annika Treutler.
Von der Idee, Musik zwischen den Gemälden und Skulpturen zu spielen, war Gudula Mayr sofort begeistert: „Das entspricht genau der Idee des Gesamtkunstwerks von Bossard. Seine Frau spielte selbst auch Klavier – Schallplatten kamen ihnen nicht ins Haus.“