Als „letzter Schüler Fischer-Dieskaus“ und jetziger Schüler des amtierenden Liedpapstes Christian Gerhaher setzt der Bariton Benjamin Appl eine Kunst fort, die in Gefahr steht, allmählich zu verblassen: die Liedinterpretation. Sein Werdegang erscheint für einen Sänger absolut typisch und doch wieder nicht. 1982 in Regensburg geboren, verbrachte Benjamin Appl einen Teil seiner Kindheit und Jugend bei den Regensburger Domspatzen. Neben den Pontifikalvespern und liturgischen Terminen war auch Raum für Spaß: Freimütig bekennt Appl im englischen „Guardian“, dass er als kleiner Junge eine Mordsgaudi beim Königsjodler des bayerischen Liedermachers Fredl Fesl hatte. Er kann heute noch darüber lachen.
Benjamin Appl: Bankkaufmann, Betriebswirt – und Gesangsstudent
Nach dem Stimmbruch nahm er zwei Jahre „guten Gesangsunterricht“, wie er sagt. Und wirkte in Oratorien mit, doch irgendwie wusste er noch nicht, ob er die Sängerlaufbahn weiterverfolgen sollte. Er dachte, er hätte ohnehin keine Chance, an der Musikhochschule aufgenommen zu werden, weshalb er eine Ausbildung zum Bankkaufmann und ein Studium der Betriebswirtschaftslehre begann und abschloss. Zu seinem Erstaunen nahm ihn die Münchner Musikhochschule dann doch auf. Sehr lange hielt es ihn allerdings nicht hier, er folgte seiner Lehrerin Edith Wiens an die Juilliard School nach New York und nur wenig später Rudolf Piernay nach London, dem einstigen Lehrer von Bryn Terfel. Hier schien er vorerst seinen Ort gefunden zu haben, die Atmosphäre an der Guildhall School of Music gefiel ihm, das Studium schien hier weniger nur von einem Lehrer, dem Meister, bestimmt.
Der britische interdisziplinäre Ansatz, der sämtliche Fächer einschloss, begeisterte ihn und bestärkte ihn in seiner Ansicht, dass britische Sänger besser auf die Laufbahn vorbereitet seien als deutsche. Trotzdem holte sich Benjamin Appl den letzten Schliff bei einer Koryphäe des deutschen Systems: Dietrich Fischer-Dieskau. „An Fischer-Dieskau hat mich wahnsinnig beeindruckt, wie ernst man eine Sache nehmen und wie weit man in eine Sache eindringen kann und muss, bevor man sie gut darstellen kann.“ Und wie das nicht selten bei alten Stars ist: Schüler sind ihnen manchmal näher als die eigene Familie. Fischer-Dieskau sorgte offenbar dafür, dass Appl regelmäßig bei öffentlichen Meisterkursen als „Überraschungsgast“ eingeladen wurde.
Problematische Vorschusslorbeeren
Gelegentlich erkennt man am Gesangsstil von Benjamin Appl den Lehrmeister. Seine Stimme hat allerdings eine andere Farbe, die noch ihren eigenen, unverwechselbaren Charakter finden muss. Technik wird erlernt, Persönlichkeit aber entfaltet sich, braucht Zeit, Souveränität und Erfahrung. Appl steht damit keineswegs allein. Der Perfektionsdrang bestimmt heute den Interpreten und seine Stimmkultur mit der Konsequenz, dass viele Stimmen austauschbar, fast aseptisch klingen. Dennoch oder gerade deshalb hat er Erfolg.
Neben seinen vielfältigen Auftritten hat er mit Graham Johnson und Malcolm Martineau – zwei der besten Liedbegleiter der Gegenwart – je eine CD produziert. Sein letztes Album „Heimat“ mit James Baillieu enthält Lieder unterschiedlichster Provenienz von Schubert über Schreker bis John Ireland und Henry Bishop. Dem Erfolg gegenüber bleibt er skeptisch: „Von außen wirkt alles oft besser als von innen. Junge Sänger bekommen viele Vorschusslorbeeren. Doch die Erwartungen und der Druck steigen, je mehr ich auftrete.“ Da hilft es vielleicht, dass er sich immer noch so richtig bei Popmusik wie die von Robbie Williams austoben kann. Das werden seine Lehrer wohl kaum von sich selbst behaupten.