Hat die weise Melancholie des späten Brahms nicht etwas dezidiert Norwegisches? Das seelenvoll singende Fortissimo des Bergen Philharmonic Orchestra, sein körperlich warmer Streicherklang, der die Hörenden geradewegs zu umarmen scheint, die üppig blühenden, groß gerundeten Oboentöne – all diese Eigenheiten der Musikerinnen und Musiker aus dem hohen Norden taugen so perfekt zum Hamburger Komponisten, dass die Verwandtschaft der beiden Hansestädte sich vom Maritimen sogleich ins Musikalische weitet. Ein ganzes Festival hat das Traditionsorchester aus Bergen zu Spielzeitbeginn Johannes Brahms gewidmet, dabei neben den Sinfonien auch die mit Lars Vogt und Christian Tetzlaff denkbar strahlkräftig besetzten Solokonzerte und „Ein Deutsches Requiem“ sowie Kammermusikpreziosen aufgeführt. Und der ausgeprägte Charakter des über 250 Jahre jungen Orchesters schmiegt sich den Eigenheiten des Wahlwieners in jeder prall ausmusizierten Phrase ideal an. Da spielt ein Ensemble, das noch nicht angekränkelt ist von jener Globalisierung des Klangs, die zwar die technische Qualität weltweit immer weiter maximiert hat, aber die Spitzenorchester auch austauschbarer gemacht hat, als sie zu Furtwänglers, geschweige denn zu Brahms‘ und Griegs Zeiten waren.
Beim Bergen Philharmonic Orchestra saugt das Nationale das Kosmopolitische auf
Gerade der größte Name unter den norwegischen Komponisten ist eng mit der Geschichte der Philharmoniker verbunden. Edvard Grieg stand ihnen einst in der patriotisch gestimmten Zeit des späten 19. Jahrhunderts für zwei Spielzeiten als Dirigent vor. Zunächst deutsch erzogen und hierzulande musikalisch ausgebildet, wurde Grieg später gerühmt, „norwegische Volkspoesie in Tönen zu malen.“ Er entdeckte das Volkslied als wichtigen Rohstoff seines Werks und bestätigte doch den eklektischen Kunst- und Kulturbegriff, der das Norwegische als etwas definiert, „das zu uns passt.“ Mitteleuropäisches wird amalgamiert, das Nationale saugt das Kosmopolitische auf. Während die bürgerliche Musikgesellschaft Harmonien, die 1765 das Orchester gründete, später die Pflege von Griegs Erbe übernahm und den Klangkörper bis heute fördert, weiterhin für die enge Verankerung in der Stadt sorgt, strahlen die Philharmoniker selbst eine starke Identität aus, die auch unmittelbar ohrenfällig wird. Je zur Hälfte bestehen sie aus Norwegern und Ausländern, verwandeln sich Brahms freilich ohne Umschweife als einen der ihren an.
Edward Gardner, der britische Chef der Bergener, schwärmt ohne Umschweife vom „aromatischen Duft“ seines Orchesters, das „wie in Ruhe gereifter, extrafeiner Rotwein“ klinge. Und er zieht als wohlgewählte Benchmark die Bamberger Symphoniker heran, die aus der Provinz kommen, ohne jemals den Anschein des Provinziellen zu erregen. „Die starke Verwurzelung in der städtischen Community, der wir dienen, und die internationale Ausstrahlung bedingen sich. Doch wir müssen rausgehen, um wahrgenommen zu werden. Gerade auf Tour sind wir wirklich Weltklasse.“ Um diese zu genießen, gibt’s im April gute Gelegenheiten.
Größtmögliche Übung im Teambuilding
Von den Tourneen als „größtmöglicher Übung in Teambuilding“ ist auch Oddmund Økland überzeugt. Der Fagottist ist zugleich Programmplaner und absolut überzeugt vom demokratischen Weg, den Entscheidungen in seiner Heimat üblicherweise gehen. „In Skandinavien gibt es einfach überall Komitees, die aber oft auch schlechte Kompromisse hervorbringen. Unser Geheimnis sind dagegen kompetente kleine Gruppen.“ Fünf Mitmusiker treffen sich wöchentlich und entscheiden im Konsens über die Pläne des Orchesters. Als Markenzeichen der Bergener sieht er ihre Fähigkeit, „neue Seiten des Kernrepertoires zu zeigen, gerade wenn wir Grieg im Gepäck haben, was die Veranstalter natürlich von uns erwarten.“ Während gerade auf Gastspielen auch die Namen der bekannten Solisten für den Publikumsstrom sorgen, ist zu Hause das Orchester selbst der Star. „Unser Budget für besonders prominente und teure Solisten auszugeben, macht gar keinen Sinn, denn es zieht bei unserem heimischen Publikum wenig. Die enge Identifikation mit dem Orchester funktioniert über oft jahrzehntelange Beziehungsarbeit, nicht zuletzt auch durch Abonnements.“
Das gewachsene Vertrauen in die Spitzenqualität der Philharmoniker bringt es mit sich, dass die treuen Fans längst auch Neuer Musik gegenüber aufgeschlossen sind, die hier keinerlei Einbruch der Ticketverkäufe auslöst. Es muss also nicht immer Brahms oder dessen befreundeter Kollege Grieg sein. Doch die Klang-DNA des Bergen Philharmonic Orchestra mit seinen dunkel satten Streichern, die gleichwohl ganz flexibel und beweglich auf Stile und Epochen reagieren können, ist gerade für die großen sinfonischen Romantiker die schlichtweg ideale genetische Grundlage.
Sehen Sie in diesem Trailer hinter die Kulissen des Bergen Philharmonic Orchestra: