Mit 28 Jahren erhielt Tanja Becker-Bender in Saarbrücken ihre erste Professur für Violine. Inzwischen lehrt sie an der Hamburger Musikhochschule und ist vor allem als Solistin gefragt. Dabei hatte sie lange Zeit weniger die großen Violinkonzerte von Beethoven oder Brahms im Fokus als vielmehr die Kompositionen der ersten Moderne und Gegenwart: „Mit diesen Werken verbinden mich große Liebe und Respekt, und ich bin froh, dass sie vor künftigen Einspielungen lange auf dem Podium reifen können.“ In den Konzertsälen haben sich schon viele ihrer Träume erfüllt, etwa die Zusammenarbeit mit bedeutenden Dirigenten und Komponisten der Gegenwart wie Peter Ruzicka oder Michael Gielen sowie intensive Begegnungen mit wichtigen musikalischen Zeugen des 20. Jahrhunderts. Künftig will Becker-Bender jedoch wieder mehr Zeit für die großen Orchesterkonzerte aufbringen. Schon in einer ganz frühen Einspielung mit Dvořáks Werken für Violine und Klavier hört man, dass es der damals 21-Jährigen schon um viel mehr ging als um Technik und Geschmeidigkeit. „Es ist nie die Frage des schönen Tons selbst, sondern nach den universellen Gesetzen hinter den Tönen und den Beziehungen zwischen ihnen.“
„Ohne Blut ist man auch nicht klug”
Ein zentraler Gedanke – der „Blick auf das Menschliche“ – kommt im Gespräch immer wieder. An der Juilliard School in New York etwa wollte sie als Studentin unbedingt in den Unterricht von György Sándor, den wichtigsten Zeitzeugen für das künstlerische Vermächtnis Béla Bartóks. „Von ihm mit großer Begeisterung angesteckt, dann in der Zusammenarbeit mit Péter Nagy und ungarischen Volksmusiker-Freunden habe ich den Weg zu einem weicheren und melodischeren, jedoch nicht weniger lebhaften Bartók-Klang gefunden, wie man ihn außerhalb Ungarns so nicht kennt.“
Durch diese Studien kamen sie und damit auch der Pianist Péter Nagy, ihr bevorzugter Duopartner am Klavier, bei Béla Bartók auf die stimmige Spur: „Weg vom aggressiv-perkussiven Bild zum Blick auf das Menschliche“. 2016 veröffentlichte das Duo Einspielungen der Werke des ungarischen Komponisten für Violine und Klavier. „Diese Musik erfordert Spieltechniken, etwa rhythmische Asymmetrien, Färbung von Tonhöhen und quasi geklebte Stricharten, die sich in unserem Notensystem nicht genau aufschreiben lassen und deswegen in der internationalen Spielpraxis nicht vorkommen.“ In diesem Zusammenhang wiederholt sie einen Satz von Péter Nagy: „Ohne Blut ist man auch nicht klug.“ Der Sinnspruch begleitet sie durch alle Epochen der Musik.
Die ewig Suchende
Seit Kurzem hat Tanja Becker-Bender zwei eigene Instrumente, nachdem das von ihr bis vor vier Jahren gespielte Stiftungsinstrument verkauft wurde. Jetzt spielt sie auf einer Violine von Goffredo Cappa aus Bachs Geburtsjahr 1685 und einem neuen Instrument aus der Werkstatt von Patrick Robin. Besteht da eine Repertoire-Zuweisung? „Für eines der Instrumente dachte ich von Zeit zu Zeit an eine Bespannung mit Darmsaiten. Aber das heißt nicht, dass ich die Instrumente konsequent für nur alte oder nur neue Werke verwende. In manchen Raumsituationen hat die Violine von Patrick Robin sogar den weicheren Klang.“
Auf der Suche nach dem zusammenschwingenden Musikerlebnis gibt es für die gebürtige Stuttgarterin keinen Unterschied zwischen den Epochen. Das gilt für das eigene Musizieren ebenso wie für Meisterklassen, für die sie in Israel gleichermaßen gefragt ist wie in Österreich oder Amerika. So paradox es klingen mag: Becker-Benders pädagogische Stärke und künstlerische Größe liegen eben darin begründet, dass die Geigerin eine ewig Suchende und Lernende ist, eine Künstlerin, die ihre Inspirationen über die zwischen-menschliche Kommunikation findet – was sich auch in ihrer Vorstellung von Musik widerspiegelt, als sie den ästhetischen Gedanken von vorhin wieder aufgreift: „Wahrhaftige Schönheit entsteht dann, wenn Töne zueinander in Beziehung treten und gleichsam miteinander sprechen.“