Brad Mehldau geht gerne in sich. Das macht er so gut, dass er inzwischen als Vorreiter eines neuen Romantizismus gilt und es schafft, trotz aller Stil-Relativierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte eine Bedeutung in sein Spiel zu legen, die mehr ist als das virtuose Jonglieren mit Versatzstücken des jazzpianistischen Klanggewerbes. Er liebt Bill Evans ebenso wie Beethoven, zitiert in einem Booklet gerne einmal Thomas Mann und macht aus seiner Vorliebe für die Hochkultur der Alten Welt keinen Hehl. Das macht Brad Mehldau zum Sympathieträger einer an Provokationen und Dekonstruktionen leidenden Szene.
Als er unlängst ein Recital-Album mit der schwedischen Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter veröffentlichte, ging statt der bei anderen Künstlern zu erwartenden Crossover-Skepsis ein wohlwollendes Raunen durch die Presse, und das manieristische, im vergangenen Jahr erschienene Epos Highway Rider für Jazzband und Orchester wurde gefeiert bis hin zu einem Echo Jazz 2011. Brad Mehldau gelingt es, ohne Abstriche beim künstlerischen Gehalt einen Stil zu kreieren, der Bildungsbürger und Avantgardisten gleichermaßen fasziniert. Denn er verzichtet auf das übliche Versteckspiel hinter dem Topos der Innovation und arbeitet präzise und lustvoll am Detail.
„Spaß beim Improvisieren bedeutet für mich, von etwas abzuweichen, was bereits vorhanden ist“, erläutert der Pianist und Komponist aus Jacksonville in Florida. „Ich nehme eine Form, entferne mich langsam davon, komme vielleicht wieder darauf zurück, habe sie aber als Referenzpunkt im Hintergrund. Daher bevorzuge ich beim Solo-Spiel wie auch im Trio einfache Standards, 32taktige Stücke, Pop- und Tin Pan Alley-Songs oder auch Blues. Diese Sachen sind simpel und haben ihre Struktur, auf die ich immer wieder zurückgreifen kann.”
Sie haben außerdem den Vorteil der Nachvollziehbarkeit. Bei aller Vehemenz, mit der sich Mehldau während langer Improvisationen zuweilen vom musikalischen Ausgangssystem entfernt, behält er doch klar den Bogen im Auge, mit dem er sich selbst und seine Hörer am Ende wieder versöhnt. Das hat er in den Trioaufnahmen der Neunziger ebenso beachtet wie im Zwiegespräch mit Gitarrist Pat Metheny oder an der Seite von Cool-Meister Lee Konitz.
Denn Musik ist für ihn ein Wert, dem er mit grundlegender Demut begegnet: „Musik kann so viele Sachen auf einmal sein. Sie ist mysteriös und das ist gerade das Besondere. Musik bedeutet nichts anderes als das, was sie ist. Sie ruft gedankliche Bilder hervor, ist in vieler Hinsicht limitiert und abstrakt. Aber letztlich verweist sie immer nur auf sich selbst. Jazz geht von diesem abstrakten Moment aus und kann die Musik weiter führen. Obwohl einerseits schon alles gesagt worden ist und man nur die immer gleichen zwölf Töne zur Verfügung hat, mit denen man etwas innerhalb eines funktionsharmonischen Gerüstes machen kann, hat man doch die Möglichkeit, die Klänge anders und individuell zu gestalten. Beeinflusst von der Tradition versucht man im aktuellen Prozess der Entstehung von Musik, alles zu vergessen. Aus diesem Paradoxon heraus wächst letztlich die Kreativität.“ Und diese Haltung macht Solo-Konzerte von Brad Mehldau zu einem Erlebnis.