Muss man sich Sorgen machen um Kian Soltani? Da steht er, hoch oben auf dem Plateau des Dornbirner Hausberg Karren, mit Blick auf den Bodensee. Aufrecht und mutig blickt er in die Ferne, sein Instrument angelehnt an die kaum wahrnehmbare Plexiglasabsperrung. Dort spiegelt sich ein zweites Cello, ein Doppelgänger, wie aus einer Parallelwelt angriffslustig seinen Steg herüberreckend. „Home“ heißt die Debüt-CD des 26-Jährigen. Sieht er nicht, dass dort ein vermeintliches zweites Ich lauert? „Das habe ich erst später entdeckt und gedeutet. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Fotograf das genau so beabsichtigt hat. Dieses Bild könnte gut die zwei kontrastierenden Welten repräsentieren, die auf dem Album vertreten sind: die deutsch-österreichische Musiktradition und die persische.“ Wo ist er zuhause? „Auf jeden Fall in Vorarlberg, wo ich geboren bin und 19 Jahre gelebt habe – und noch immer alle Ferien im Elternhaus verbringe! Aber mittlerweile habe ich gelernt, mich schnell überall wohl zu fühlen. Das ist im Leben eines reisenden Musikers wichtig und praktisch!“
Mit Daniel Barenboim auf der Bühne
Der Sohn einer persischen Musikerfamilie wurde in Bregenz geboren. Vier Jahre alt war er, als er mit dem Cellospiel begann. Mit zwölf Jahren kam er in die Klasse von Ivan Monighetti an der Basler Musik-Akademie. Der internationale Durchbruch gelang ihm 2011 im Alter von 19 Jahren mit Debüts im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins und bei der Schubertiade in Hohenems. Sein Talent und die ureigene Fähigkeit, die romantische Seele auch unter höchster Anspannung ganz natürlich aufscheinen zu lassen – sein Lehrer Ivan Monighetti forcierte Soltanis Teilnahme an zahlreichen Wettbewerben – sprach sich herum und weckte das Interesse eines Mannes, dessen Urteil unzweifelhaft ist und der Entscheidungen schnell in die Tat umsetzt: Daniel Barenboim.
Der engagierte den jungen Star für sein West-Eastern Divan Orchestra als Solocellisten. Von ihrem gemeinsamen Auftritt 2015 in der Berliner Waldbühne schwärmt Soltani noch heute: „Ein unvergessliches Erlebnis! Vor fast 20.000 Leuten zu spielen, das erlebt man als klassischer Musiker nicht so oft, wenn überhaupt. Und als es dunkel wurde und das Publikum mit den Handys ein Lichtermeer bildete … fantastisch!“ Barenboim selbst scheint bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen zu haben: „Er hat ein unglaubliches Verständnis von jedem Instrument, bis in die kleinsten technischen Spieldetails!“ Barenboim war es auch, der den Preisträger des Leonard Bernstein Awards bei der Einspielung seiner ersten CD „Home“ beriet. Eine Wertschätzung, die umso tiefer geht, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Barenboim mit einer der größten Cellistinnen der Welt verheiratet war: Jacqueline du Pré. „Er besitzt ja auch noch ihre beiden Celli, die er zur Verfügung stellt. Und er erzählt viel von ihr, hat gar keine Hemmungen.“
Kian Soltani: „Moll du!“
Gelöst erscheint auch der junge Cellist. Nicht zerrissen von der leidenden Seele, wie es vielleicht das Eröffnungsstück der CD nahelegen mag, die Arpeggione-Sonate von Franz Schubert. Das Stück ist in a-Moll gesetzt. Zufall oder hintersinniges Wortspiel: Die Frage nach seinem liebsten österreichischen Ausdruck beantwortet Soltani, der den Vorarlberger Dialekt schätzt und auch spricht, wie folgt: „Moll! Das kann alles heißen. Zum Beispiel als Antwort auf die Frage ‚Wie geht es dir?“ Man nickt und meint damit: ‚Recht gut’. Oder gedoppelt auf die vorwurfsvolle Frage ‚Schmeckt es dir nicht?’ Dann sagt man: ‚Moll, moll!’, was bedeutet: ‚Doch, natürlich!’ Und wenn jemand sehr beeindruckt ist – also ein großes Wow! –, dann sagt er bei uns: ‚Moll du!’“ Wundersame Heimat.
In den „Persian Folk Songs“ von Reza Vali, das er in Auftrag gegeben hat, findet der Cellist schließlich ganz zu sich. Ein Zuhause, eine Wohnung, die keine Grenzen kennt: die Liebe. Sie überwindet alles. „Die ersten vier Lieder des Zyklus’, die Reza Vali als Vorlage genommen hat, handeln alle von der Liebe. Er beschreibt musikalisch ganz verschiedene Stimmungen: Verlangen, Verlust, Verbundenheit, Rausch.“ Voller Feuer endet die CD, mit einem Werk aus eigener Handschrift. „Den persischen Feuertanz gibt es eigentlich gar nicht, das ist ein frei erfundenes Wort von mir“, gesteht der Grenzgänger. „Das Stück soll feurig gespielt werden, daher kam ich auf den Titel. Es ist ein frei erfundener Tanz, inspiriert von der persischen Musik, die ich immer zu Hause gehört habe.“ Dort kommt eben alles her.
Cellist Kian Soltani über sein Album „Home“: