Wenn der Klassikhimmel voller Geigen hängt, spielt sich derzeit meist ein die Saiten streichelndes Fräuleinwunder in die flirrenden Höhen der Konzerte von Mendelssohn, Bruch oder Brahms. Virtuosinnen wie Midori, Julia Fischer oder Hilary Hahn stehen für eine verblüffende violinistische Dominanz der Damen, die uns gleichermaßen durch ihr fulminantes Spiel wie ihr attraktives Äußeres betören. Erscheint dann schon wieder ein neuer weiblicher Stern am Geigen-Firmament, hören Kritiker mitunter auch stirnrunzelnd hin: Denn wird uns da primär jugendliche Schönheit oder doch wirkliche künstlerische Substanz verkauft?
Chloë Hanslip, die in den letzten Jahren bereits durch einige beachtliche Aufnahmen in Randbereichen des romantischen Repertoires auffiel, tritt im Juni nun erstmals mit den Hamburger Symphonikern auf. Auch sie findet es auffällig, dass so viele junge Geigerinnen die Szene beherrschen, meint jedoch: „Es gibt doch Platz für uns alle. Wir sind ganz unterschiedliche Leute und sind verschiedenen Pfaden gefolgt, die uns zweifellos zu individuellen Künstlern gemacht haben.“ Das wichtigste für sie sei, „der Musik und den Wünschen der Komponisten so treu zu sein wie nur irgend möglich.“
Auf ihrem eigenen Weg wurde sie entscheidend von Zakhar Bron geprägt. Der russische Meistermacher hat bereits Vadim Repin, Maxim Vengerov und Daniel Hope mit bekanntermaßen enormem Erfolg unterrichtet. Über den berühmten Pädagogen sagt Chloë Hanslip: „Ich hatte ein unglaubliches Glück, mit einem Musiker und Lehrer arbeiten zu dürfen, der so wunderbar ist wie Professor Bron. Er hat eine solche Energie und ein solch strenges Arbeitsethos und würde nie etwas anderes akzeptieren als die bestmögliche eigene Arbeit. Umgekehrt macht ihn dies zu einem der großartigsten Lehrer überhaupt.“
Von diesem idealen Mentor wurde die heute 23 Jahre alte Geigerin jedoch außerhalb des Hochschulsystems betreut, wofür sie eine einfache Erklärung hat: „Ich war tatsächlich zu jung, um offiziell an der Musikhochschule zu studieren.” Kein Wunder, denn Chloë war sieben Jahre alt, als sie begann, mit Bron zu arbeiten. Sie wurde dann sogenannte Jungstudentin, worin sie nachträglich einen eindeutigen Vorteil sieht: „Ich konnte mich ganz auf die Musik fokussieren, meine Technik und mein Spiel.”
Zum zweitwichtigsten Partner auf der steten Suche nach dem idealen Geigenton ist der Künstlerin ihr Instrument geworden, eine Guarneri del Gesù aus dem Jahre 1737. „Sie gibt mir die Möglichkeit, so viele Arten des Timbres hervorzubringen und mit fantastischer dynamischer Differenzierung zu spielen.“
Bei ihrem Symphoniker-Debüt wird Chloë Hanslip nun Alban Bergs Violinkonzert interpretieren, das „dem Andenken eines Engels“ gewidmet ist. Der Komponist erinnert mit einem seiner berühmtesten Werke an Manon Gropius, die mit 18 Jahren an Kinderlähmung gestorbene Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius. Berg wollte in seinem Violinkonzert die „Wesenszüge des jungen Mädchens in musikalische Charaktere“ umsetzen. Für Chloë Hanslip, die sonst so gern auf Wegen abseits des Standardrepertoires wandelt, stellt das Werk eine besondere Herausforderung dar: „Jeder kennt es und hat eine Vorstellung, wie man es spielen sollte.“