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Porträt Christopher Franzius

Nahrung für die Seele

Christopher Franzius, Solo-Cellist des NDR Sinfonieorchesters, über Mahler und die Medizin

vonSören Ingwersen,

Zwei Orchester und fünf Chöre unter einen Hut zu bringen – das ist eine große Herausforderung“, meint Christopher Franzius, Erster Solo-Cellist des NDR Sinfonieorchesters. Es ist nicht das erste Mal, dass Franzius bei Mahlers achter Sinfonie die Gruppe der Cellisten führt. Aber mit zwei Orchestern auf der Bühne hat er das Stück noch nie gespielt. Das wird sich am 20. Mai ändern, wenn Mahlers „Sinfonie der Tausend“ in der O2 World als krönender Abschluss des Konzertzyklus „Mahler in Hamburg“ aufgeführt wird. Rund 500 Musiker – Chorsänger eingeschlossen – wird Christoph Eschenbach durch das Mammutwerk dirigieren.

„Bei den Proben werden wir eine Eingewöhnungszeit brauchen, da die beiden Orchester recht unterschiedlich sind“, sagt Franzius: auf der einen Seite der sehr dunkle, runde und kräftige Streicherklang des NDR Sinfonieorchesters, auf der anderen Seite der weiche Klang der Tschechischen Philharmonie Prag. Und dass bei den Aufführungen in Prag und Hamburg auch die Stimmführer wechseln, erleichtert die Sache nicht gerade. Das Attribut „leicht“ ist bei Mahlers Achter ohnehin fehl am Platz. Schließlich verhandelt der Komponist in seiner groß angelegten Sinfonie auch große Themen. Der Pfingsthymnus Veni, creator spiritus, der den ersten Teil der Sinfonie bildet, ruft den Schöpfergeist um Beistand an. Die Textgrundlage des zweiten Teils bildet die letzte Szene aus Goethes Faust II, in der Faust errettet wird. Wie diese beiden Teile zusammen passen, darüber zerbrechen sich Musikwissenschaftler bis heute den Kopf. Für Franzius ein eher theoretisches Pro­blem: „Das ist eine ganz unglaubliche Musik. Dieser Wechsel zwischen Seelenqual und Himmelsmelodie verursacht mir immer wieder eine Gänsehaut.“

Christopher Franzius‘ Affinität zu religiösen Themen bestimmt auch seine mehr als dreistündige Komposition für Solo-Cello. Den „Oratorium-Zyklus“ mit dem aus der Offenbarung entlehnten Untertitel „Auf dem Weg zu einem Neuen Himmel, einer Neuen Erde und einem Neuen Menschen“ schrieb er in einer Lebenskrise – in der er sich auch der Medizin zuwandte. Seit über zehn Jahren ist er praktizierender Heilpraktiker mit Schwerpunkt Neuraltherapie. Die Verbindung von Musik und Medizin liegt für Franzius auf der Hand: „Ich bin vollkommen überzeugt davon, dass Musik heilen kann. Sie ist Nahrung für die Seele und die beste Form der Therapie. Bei Mahlers achter Sinfonie könnte man durch den bedeutungsvollen Hintergrund vielleicht sogar von einer sehr starken Medizin reden.“

Tatsächlich handelt Mahlers Sinfonie von einer Heilung – wenngleich im reli­giös überhöhten Sinn. In dieser Hinsicht sind beide Teile des Werks aufeinander bezogen, bilden eine Einheit wie Körper und Geist, wie – im Idealfall – Musiker und Publikum. „Wenn einem viele Menschen beim Musizieren zuhören, ist das wie ein Katalysator von Energie“, erklärt Franzius. An Energie sollte es dem Konzert in der O2 World demnach nicht mangeln.

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