Berlin, Konzerthaus am Gendarmenmarkt: Mit selbstbewusstem Lächeln und forschen Schrittes tritt Cornelius Meister im maßgeschneiderten schwarzen Gehrock auf, begrüßt den Konzertmeister und ergreift … nicht den Taktstock, sondern ein Mikrofon und wendet sich dem Publikum zu.
Ja, der schlanke Musiker ist nicht nur bereits sein halbes Leben lang professioneller Dirigent, sondern wohl auch ähnlich lang Entertainmentprofi: Statt die Anfangsspannung durch läppische Begrüßungsformeln zu zerstören, weiß er diese noch zu steigern. In knappen, wohl gesetzten Worten schildert er das grausige Märchen, das der Sinfonischen Dichtung Die Mittagshexe von Dvořák zugrunde liegt – einem unartigen Kind droht die Mutter mit der Mittagshexe, die am Ende tatsächlich erscheint und das Kind tot zurücklässt. Meister, vor zehn Jahren am Theater Heidelberg jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands und seit 2010 Chefdirigent des Wiener Radio-Sinfonieorchesters (RSO), erzählt dies nüchtern, ganz ohne deplatzierten Bühnencharme oder übertriebene Dramatik. Und schafft damit eine wahrlich intensive Arbeitsatmosphäre für alle Anwesenden.
Kontinuität statt Erneuerung
„Ich behaupte nicht, dass es alle Kollegen so machen müssen“, sagt der gebürtige Hannoveraner. „Ich freue mich aber, dass so ein Konzertbeginn heute nicht mehr für Diskussionen sorgt – allerdings hätte er das vielleicht auch nicht vor 50 Jahren getan.“ Solch eine Wendung nehmen seine Sätze oft im Gespräch: Meister betont lieber Kontinuitäten, statt ständig von einer Neuerfindung oder Erneuerung des Klassikbetriebs zu sprechen. Mag manch konservativem Klassikfreund solch Selbstbewusstsein wie auch der Glamour, den der schlanke Niedersachse bei seinen Auftritten vermittelt, auch zu viel der Selbstsicherheit sein, so gründen diese doch in Sachlichkeit und enormen Fleiß. Neben allen Repertoiredirigaten, Bruckner-Sinfonien mit „seinem“ RSO und Wagner-Opern – mittlerweile sogar an der Wiener Staatsoper – finden sich darunter ebenso Auftritte mit dem renommierten Pariser Neue-Musik-Ensemble Intercontemporain wie eine historische Originalklang-Aufführung der Zauberflöte am Opernhaus Zürich: alles Dinge, für die es eigentlich Spezialisten gibt.
Auf die Brezeln kommt es an
Meister indes ist ein fleißiger, wissbegieriger Mann und Spezialist für vieles. Seine Energie allerdings steckt er beruflich vor allem in ein Projekt: „Es ist mir wichtig, dass das Publikum einen außergewöhnlichen Abend erlebt.“ Dafür überlässt er ungern etwas dem Zufall, und so kann es durchaus sein, dass der Dirigent vor der Vorstellung zu diesem Zweck noch das Gespräch mit dem Brezelverkäufer sucht. „Uns Musikern auf der Bühne könnte es gleich sein, wie es um den Pausenverkauf steht, ob genug Kassenpersonal da ist, damit die Menschen nicht in der Kälte herumstehen – mir aber ist das nicht egal: Denn all das trägt dazu bei, ob sich das Publikum gern an den Abend zurückerinnern wird.“ Und der solle außergewöhnlich im besten Sinn werden: „Ich benutze jetzt bewusst nicht den Ausdruck ‚schön‘, denn es können auch depressiv machende oder verstörende Abende sein.“ Und wenn da das Mikrofon hilft, die Zuhörer auf Außergewöhnliches einzuschwören, dann tätigt er halt diesen Griff.
Dass sein eigenes Leben im positiven Sinn ebenfalls außergewöhnlich bleibt, dafür sorgen nicht zuletzt seine drei Kinder, die regen Anteil an den Aktivitäten des Vaters nehmen: „Als ich Wagners Ring des Nibelungen in Riga probte, waren sie dabei – statt etwas anderes zu unternehmen, wollten sie lieber sämtliche vier Opern mitbekommen. Und wenn wir wieder im Ferienhaus waren, haben sie Äste zu ihren Speeren gemacht und ‚Hagen, was tust du?‘ gerufen.“ Gut, dass Meister sich zumindest in seinem Privatleben nicht auch noch selbst um außergewöhnliche Erlebnisse kümmern muss.