Klassisches Musikstudium absolviert, zwei internationale Wettbewerbe in Berlin und Genf mitsamt aller Sonderpreise gewonnen und seit diesem Wintersemester ein Masterstudienplatz beim Artemis Quartett: Für das Berliner Vision String Quartet läuft es richtig gut. Die vier jungen Musiker haben sich 2012 beherzt in die professionelle Kammermusikszene gestürzt und stürmen momentan die Herzen der Veranstalter und des Publikums.
„Ich habe schon früh gemerkt, dass ich eher auf der Kammermusikwelle schwimme“, verrät Bratschist Sander Stuart. „Vielleicht bin ich fürs Orchester auch einfach zu dickköpfig. Da läuft vieles im Kontakt immer nur über den Dirigenten und nicht im unmittelbaren Austausch untereinander. Im Quartett kann man wunderbar auch mal fünf Stunden am Stück diskutieren.“
Vision String Quartet: Verlust jedes Zeitgefühls
Seitdem Sander Stuart im Vision String Quartet spielt, wacht er tatsächlich jeden Tag mit dem Gefühl auf, genau das zu tun, was er möchte. „Es klingt vielleicht kitschig, aber wenn wir zum Beispiel das 8. Streichquartett von Schostakowitsch spielen, dann verliere ich jedes Zeitgefühl. Wir sind mittlerweile so aufeinander eingespielt – das ist wie eine musikalische Symbiose.“
Der zweite Geiger Daniel Stoll war an der Gründung des Quartetts beteiligt – und die kam fast zufällig zustande, erzählt er. „Ich habe damals mit unserem ersten Geiger Jakob Encke und dem Cellisten Leonard Disselhorst ein Ensemble gegründet, das uns eigentlich nur ein bisschen Ausgleich zum klassischen Studium verschaffen sollte.“ Einen Kontrabass und eine Baritongeige hatten sie damals auch dabei und spielten zu sechst Eigenkompositionen und Arrangements aus dem Jazz und Pop. „Aber wir waren irgendwie zu viele Leute, um Probentermine zu finden, deshalb hat sich doch wieder die klassische Quartettbesetzung herauskristallisiert, und wir haben das Ganze dann professionell angepackt.“
Mit der Haltung eines Popmusikers
Die Liebe zu anderen musikalischen Genres und der Drang, selbst zu komponieren, sind jedoch geblieben. Musikalische Einflüsse durch ein Kammermusikstudium bei Günter Pichler, dem Gründer des Alban Berg Quartetts, sowie durch das derzeitige Studium in Berlin beim Artemis Quartett haben die Musiker zusätzlich geprägt. Für ihre Konzerte hat sich das Vision String Quartet ein eigenes Konzept überlegt: Nach einer ersten, „konventionell“ programmierten Hälfte mit Klassikern aus dem Streichquartett-Repertoire gibt es einen zweiten Teil mit Jazz- und Popmusik samt Licht- und Tontechnik, in dem das Publikum die Instrumente auch noch von einer anderen Seite erleben kann.
„Wir spielen dann viel rhythmischer, betonen plötzlich die Off-Beats und ahmen zum Teil andere Instrumente nach. Die Pizzicati vom Cello klingen zum Beispiel durch einen Subwoofer wie ein Kontrabass und wir erzeugen Grooves mit den Bögen,“ erklärt Daniel Stoll, wiegelt aber gleich darauf ab: Man wolle keinem die Ohren wegpusten, sondern immer noch Kammermusik darbieten. Auch bei den klassischen Streichquartetten möchten sie ihren eigenen Klang finden: „Streichquartett ist grundsätzlich sehr traditionsbehaftet. Wenn man sich jedoch davon mal löst und beispielsweise einen Beethoven anders performt, mit der inneren Haltung eines Popmusikers, dann kann man plötzlich ganz anders zeigen, wie sehr die Musik mitreißt.“
Mit eigenem Programm unterwegs
Das Konzept geht auf und beschert dem Vision String Quartet in dieser Saison unter anderem Konzerte in der Elbphilharmonie, im Konzerthaus Berlin und in vielen anderen großen Konzerthäusern. „Viele Veranstalter sind heutzutage sehr offen und möchten, dass das Publikum auch mal etwas anderes hören kann. Und wenn ein Veranstalter sich weigert, dann spielen wir unsere Stücke einfach als Zugabe.“ Daniel Stoll schmunzelt „Bisher war es immer so, dass das Publikum davon begeistert ist und dass wir dann beim nächsten Mal direkt mit unserem vorgeschlagenen Programm eingeladen werden.“