Ein Orchestermusiker muss sich normalerweise nur um seine Spielfähigkeit kümmern. Die Programmgestaltung ist Sache von Intendanten und Chefdirigenten. Doch diese Posten gibt es beim Deutschen Kammerorchester Berlin nicht. Hier überlegen die Musiker gemeinsam, welche Stücke aufs Notenpult kommen. „Bei uns trägt jeder Verantwortung“, sagt der Geiger und Orchestervorstand Hannes Metze. „Das betrifft auch organisatorische Fragen: Wer wird neu aufgenommen? Wer spielt wann? Welche Solisten laden wir ein? Orchestermusiker haben sonst nicht die Gelegenheit, solche Entscheidungen zu treffen. Bei uns genießen sie es, eigene Vorschläge einzubringen.“
Die Selbständigkeit geht so weit, dass rund die Hälfte aller Konzerte ohne Dirigenten bestritten wird; Gabriel Adorján leitet das Orchester dann vom ersten Geigenpult. „Dadurch müssen wir intensiver aufeinander hören. Wir spielen eher wie ein Kammermusik-Ensemble“, erklärt der Konzertmeister.
Als ständiger Gastdirigent ist Markus Poschner, der Dirigentenpreis-Gewinner von 2004 und derzeitige Chef der Bremer Philharmoniker, dem Kammerorchester verbunden. „Einen festen künstlerischen Leiter brauchen wir aber nicht“, meint Orchestervorstand Metze. „Wir arbeiten gerne mit verschiedenen Dirigenten, die uns jeweils aufs Neue inspirieren.“ Außerdem ist das Ensemble in die Nachwuchsdirigenten-Förderung des Deutschen Musikrats eingebunden.
Anfangs hatte das Orchester einen Leiter: Im Dezember 1989 gründete der energische und umtriebige Fritz Weisse, damals Leiter des Berliner Konzert-Chores, das DKO als Reaktion auf den Mauerfall. „Weisse wollte Musiker aus Ost- und Westdeutschland in einem Ensemble vereinen“, erzählt Hannes Metze, der seit 15 Jahren mit dabei ist. „Inzwischen sind neun Nationalitäten bei uns vertreten.“
Im Mittelpunkt steht die eigene Konzertreihe im Kammermusiksaal der Philharmonie. „Wir wollen interessante Programme gestalten; mit einer ausgewogenen Mischung aus alt, neu und sehr neu“, erläutert Konzertmeister Adorján das Repertoire. In dieser Saison reicht der Bogen von Beethovens Tripelkonzert über Tangos von Astor Piazzolla bis zu einer Erstaufführung des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür. Die festen Orchestermitglieder sind allesamt Streicher; Bläser werden nach Bedarf engagiert.
Das Deutsche Kammerorchester lässt sich zudem allerhand einfallen, um die Verjüngung des Berliner Klassikpublikums voranzutreiben. So geben viele Dirigenten selbst eine Konzerteinführung, bevor sie ans Pult treten – solch ein unmittelbarer Kontakt mit den Künstlern kommt an. Und in der nächsten Saison tritt das Orchester gemeinsam mit dem DJ Henrik Schwarz auf.
Ein ehrgeiziges Programm, bedenkt man, dass das Deutsche Kammerorchester seit 2008 keine öffentliche Förderung mehr erhält. Wichtigste wirtschaftliche Säule sind daher die rund 550 Abonnenten, von denen etliche dem Orchester schon seit zwei Jahrzehnten die Treue halten. „Wenn wir jetzt einen 28-köpfigen Chor aus Estland anreisen lassen, dann ist das für uns finanziell nicht leicht zu stemmen“, erklärt Hannes Metze.
Notgedrungen landet am Monatsende weniger auf dem Konto der Musiker als bei den Kollegen in staatlichen Orchestern. „Das ist durchaus ein Spannungsfeld“, räumt Metze ein. „Wer hier spielt, muss sein eigentliches Geld woanders verdienen, ist aber trotzdem aufgefordert, sich bei uns voll einzubringen. Die meisten machen aber gerne mit, weil unsere Programme gut sind und wir ein angenehmes, kollegiales Klima haben.“