Ein Donnerstagabend im November im Foyer der Berliner Philharmonie, es ist kurz vor acht. Die Türen zum Saal sind noch geschlossen, doch haben sich vor ihnen kleine Menschentrauben gebildet. Besonders im Parkett herrscht großer Andrang, und als der Einlass beginnt, stürmen die Gäste auf die besten Plätze.
Dass sich die Besucher beim einheitlichen Ticketpreis von 15 Euro (ermäßigt 10 Euro) ihren Platz selbst aussuchen können, ist nicht die einzige Besonderheit bei den „Casual Concerts“ des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, auch der Beginn um 20:30 Uhr ist ungewohnt.
Während sich in den verbleibenden Minuten der Saal auch in den Rängen langsam füllt, herrscht das gleiche Bild auf der Bühne: In zivil schlendern die Orchestermusiker nach und nach herein, ein Cellist kommt mit Trainingsjacke, ein Bassist im Wollpullunder. Schließlich betritt Komponist und Dirigent Matthias Pintscher, leger im schwarzen Hemd, das Podium. Er dirigiert sein Werk Osiris, das mit flirrenden Streichertexturen beginnt, bald setzen Holzbläser ein, Blech und Schlagwerk sorgen für einen lauten Akzent – doch dann bricht Pintscher ab, greift zum Mikrofon und wendet sich dem Publikum zu. Lebhaft erklärt er den Konzertbesuchern sein Werk und den Osiris-Mythos, sensibilisiert die Zuhörer für seine Klangstrukturen, dreht sich wieder zum Orchester, greift sich einzelne Instrumentengruppen heraus, demonstriert Klangfarben, holt Melodien exemplarisch hervor.
Der Einblick in die Orchesterwerkstatt gehört bei den einstündigen Casual Concerts dazu. „Die Kunstwerke zählen nicht oben auf dem Denkmal, sondern die kann man anfassen, ranholen, richtig angucken, wie alles andere auch im Leben“, erklärte Ingo Metzmacher, als er das Format 2007 ins Leben rief. Seitdem erfreuen sich die „lässigen Konzerte“ beim Publikum großer Beliebtheit. Die Atmosphäre hat durchaus ihren Reiz: Zum einen wirkt hier nichts elitär, zum anderen sind die Zuhörer sehr aufmerksam und konzentriert dabei, wenn die Dirigenten oder Solisten über das Werk sprechen, bevor sie es schließlich in Gänze aufführen.
Auch Cornelius Meister hat das DSO schon im Casual Concert dirigiert. Meister, geboren 1980, wurde 2005 in Heidelberg jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands – sein Auftritt stand insbesondere für das Ziel der Reihe, ein junges Publikum zu erreichen. Dies gelingt dem DSO, doch ist zwischen Schülern und Studenten in den Reihen der Philharmonie auch die ältere Generation erstaunlich gut vertreten. „Wir kommen ganz bewusst hierher“, sagt ein Rentnerpaar und lobt die ungezwungene Atmosphäre sowie die detailreichen Ausführungen des Komponisten. Gemeinsam steht man wenige Minuten nach Ende des Konzerts unweit der Philharmonie vor dem Aufzug hinauf zum Panorama-Club „40seconds“. Hier findet stets im Anschluss die „After Concert Lounge“ statt, DJs legen klassische Musik und Jazz auf, es gibt kurze Live-Darbietungen, während man den Blick über das Kulturforum hinüber zum Potsdamer Platz schweifen lassen kann.
Auch Matthias Pintscher ist in die Lounge gekommen. Umringt von Musikerkollegen und mit einem Glas Sekt in der Hand zeigt er sich angetan von der Resonanz. „Das Publikum in den Casual Concerts will angesprochen werden, und es macht großen Spaß, die Leute an der Hand zu nehmen.“ Die Lounge ist ein durchaus angenehmer Ort, weil man sich mit Gleichgesinnten über das Gehörte austauschen, Orchestermusikern begegnen und auch mal dem Dirigenten seine Meinung sagen kann. „Statt nach dem Konzert alleine zum S-Bahnhof zu gehen und nach Hause zu fahren, lassen wir den Abend doch lieber hier ausklingen“, sagt das alte Ehepaar und macht es sich auf zwei Barhockern bequem.