Die Musikbranche hat ihr Lieblingsthema gefunden: Konzertformate! Das Nachdenken über die Art und Weise, Konzerte heute zu präsentieren, hat bei Veranstaltern, Journalisten und auf Symposien Konjunktur. Und natürlich gibt es gute Gründe dafür. Viele wurden im Essay der Mai-Ausgabe 2014 angesprochen. Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern stellen sich diesen Fragen. Das Musikleben ist dabei, sich in wichtigen Parametern zu verändern und zu erneuern. Markus Fein, Indendant der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, sieht das als eine Chance. „In den 127 Konzerten, die wir im Sommer präsentieren, wollen wir jedoch nicht den akademischen Diskurs anfachen, sondern Musik in tatsächlich neuen Formaten erlebbar machen. Von etwas Anderem möchten wir uns deutlich absetzen: Im Zuge der Diskussion um „Partizipation“, „Musikvermittlung“ und „Konzertsetting“ droht in meinen Augen das „Konzertformat“ zunehmend das eigentliche Musik-Erleben zu überwuchern. Konzertformate sind ein Vehikel, nicht der eigentliche Inhalt.“
Package is King? Über die Inhalte sollte dikutiert werden
Zunehmend skeptisch stehe ich jedenfalls etlichen Versuchen gegenüber, die ihren einzigen Sinn darin sehen, partout das Konzertritual aufzubrechen: Konzerte im Dunklen, Konzerte im Bergbau? Oft droht der „Bilbao-Effekt“: In der Pause wird viel über die Hülle, wenig über die Inhalte diskutiert. Das wirft letztlich die Frage auf: Worum geht es uns wirklich, wenn wir mehr Partizipation, mehr Innovation, mehr Musikvermittlung, mehr Öffnung einfordern? Zwei Beispiele der kommenden Saison der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern mögen Antworten darauf geben. Beim Streichquartettfestival „360° Streichquartett“, an dem u. a. das Belcea und das Artemis Quartett teilnehmen, wollen wir an drei Tagen exemplarisch zeigen, wie spannend und aktuell diese 250 Jahre alte Gattung ist. Hier geht es nicht darum, dem Musikerlebnis nur eine neue Oberfläche zu geben, sondern dem Konzertbesucher Zugänge zur Musik zu öffnen, die er bislang so nicht erlebt hat – dabei steht die Musik im Zentrum. Der Besucher kann in Konzerten, Künstlergesprächen, Diskussionen, in einer Filmnacht, bei offenem Unterricht und während eines Spaziergangs das faszinierende Panorama der Streichquartettmusik entdecken. Er erlebt in Hörexperimenten und Installationen das Streichquartett von allen Seiten. Hier gehen Musik und die sie ergänzenden Veranstaltungen eine Symbiose ein und werden zu einem umfassenden Erlebnis.
Musik in ihrem Kontext wahrnehmen und begreifen
In ähnlicher Weise binden die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern bei den „Pavillons der Jahrhunderte“ das geschichtliche Umfeld mit ein. Der Konzertbesucher erlebt die Musik in ihrer geschichtlichen Verortung. Wir ziehen Verbindungslinien von der Musik zur Bildenden Kunst und Literatur und lassen das ganze Panorama einer Epoche aufscheinen. Zugänge zur Musik werden dabei nicht nur „durch den Kopf“, sondern auch „durch die Ohren“, also durch das Hören eröffnet, denn der Konzertbesucher kann beispielsweise Beethovens 5. Sinfonie inmitten des Orchesters miterleben. Das Orchester ist nicht auf der Bühne platziert, sondern im Auditorium. Der Hörer wechselt von Stimmgruppe zu Stimmgruppe und kann so das Orchester aus ganz unterschiedlichen Hörperspektiven erleben – im anschließenden traditionellen Konzert kann er – so denken wir – diese vermeintlich so bekannte Sinfonie neu erfahren.
Das Musikleben ist in Bewegung geraten, das „Konzert“ verändert sich. Was mir dabei gefällt: Noch nie wurde der Zuhörer so sehr ernst genommen. Wir entdecken gerade, welche kreativen Räume neue Konzertformen freisetzen können, wie lebendig und belebend die Kommunikation zwischen der Musik, den Musikern und ihren Zuhörern sein kann. Wir beobachten aber auch, was passiert, wenn die Erfindung neuer „Konzertformate“ nur ein Marketing-Trick ist, wenn diese am Schreibtisch und nicht im Dialog mit den Musikern entwickelt werden und wie wenig man gewinnt, wenn neue Konzepte nicht aus der Mitte der Musik herausgedacht werden. Die Zukunft des Konzerts bleibt spannend!
Wie spricht man das Publikum der Zukunft an?
concerti-Redakteurin Friederike Holm diskutiert über Innovationen im Konzertleben.
Benedikt Stampa, Intendant des Konzerthauses Dortmund, setzt auf provokantes Marketing.
Elmar Lampson findet: „Studenten sollten nicht nur zu guten Musikern, sondern auch zu exzellenten Vermittlern ausgebildet werden.“
Form Follows Function: „Wir müssen kreativere Formen erschaffen, damit klassische Musik weiterhin ein Publikum findet“, fordert Folkert Uhde.