Die Premiere von Alban Bergs „Lulu“ am Deutschen Nationaltheater in Weimar stand unter keinem guten Stern: Martin Hoff, mit der musikalischen Leitung der Oper betraut, verstarb völlig unerwartet wenige Monate zuvor. Kurz vor der Premiere Anfang dieses Jahres musste dann auch der Ersatzdirigent krankheitsbedingt das Handtuch werfen, und so beschloss man flugs, Stefan Lano mit dem Dirigat zu betrauen. Eine Notlösung? Mitnichten!
Der in Amerika geborene Albaner gilt als ausgewiesener Kenner der Partitur – nicht zuletzt auch deshalb, weil er einst als Repetitor für Friedrich Cerhar arbeitete, der wiederum für die gängige Fassung der unvollendeten Oper verantwortlich zeichnete. Lano rettet die Produktion, für das Publikum der europäischen Kulturstadt sind es großartige Abende mit dem weltweit gesuchten Spezialisten für modernes Musiktheater. Jetzt wird der 65-Jährige Erster Kapellmeister der Staatskapelle und des Deutschen Nationaltheaters (DNT).
Immer wieder „Lulu“
In der Kantine des Opernhauses ist am letzten Tag vor der Sommerpause wenig los, Lano zeigt sich in Redelaune. „Die Zeit, in der ich Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen zeigen musste, liegt zum Glück hinter mir.“ Wenn Lano ausholt, geht es nicht um Sensationen, sondern um Musik, Kunst, Können. Das schließt, gerade bei seinen Schwerpunkten, eine intensive Vorbereitungszeit ein: „Dirigieren lernt man meistens erst in älteren Jahren. Man sollte so lange wie möglich korrepetieren.
Wie früher Maria Callas mit „Lucia di Lammermoor“ ist er verwachsen mit der Partitur von „Lulu“. Wenn Stefan Lano über dieses zentrale Werk des 20. Jahrhunderts spricht, vergisst er zu sagen, welche Aufgaben er in den verschiedenen Produktionen hatte. Lorin Maazel, der ihn als musikalischen Assistenten zum Pittsburgh Symphony Orchestra mitnahm, ermöglichte dem diplomierten Biologen die ersten Dirigate. Für ihn studierte Stefan Lano an der Staatsoper Wien die legendäre Produktion mit Patricia Wise ein. „Deshalb wollte Patricia die lateinamerikanische Erstaufführung am Teatro Colon de Buenos Aires 1993 nur mit mir machen. Ihr und einer Aufnahme meiner Aachener ‚Lulu’ verdankte ich dieses Debüt.“ Auf Buenos Aires, wo Stefan Lano bis 2008 Chefdirigent war, folgte „Lulu“ an der Oper von San Francisco 1998.
Ein streitbarer Dirigent
Der lateinamerikanischen Welt bleibt er auch am neuen Lebensmittelpunkt Weimar verbunden, vor allem dem National Symphony Orchestra von Uruguay. Als Stefan Lano in Montevideo eine konzertante Aufführung von Wagners „Tristan und Isolde“ plante, sprachen die dortigen Kulturpolitiker dem Publikum die Verständnisfähigkeit für dieses Werk ab: „Eine Unverschämtheit war das!“, empört sich Stefan Lano noch heute. Den zweiten „Tristan“-Akt drückte er aber zur Begeisterung der Hörer durch. Für das dortige Orchester erkämpfte er in ähnlicher Streitbarkeit von den Geldgebern die Erhöhung von 34 auf 53 Planstellen der insgesamt 93 Musikerpositionen. So zeigt er einen Wesenszug, den er in den vorerst bis 2022 beigelegten Kämpfen der Thüringer Orchesterlandschaft noch brauchen wird.
Stefan Lano sammelt keine Trophäen
Es geht Stefan Lano, wenn er von Auftritten spricht, nicht um das Sammeln von Trophäen. Natürlich beherrscht „Dalai Lano“ (so nennen ihn die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden) das gängige Opernrepertoire. Aber die große Begeisterung kommt über ihn, wenn er von Strawinskys „The Rake’s Progress“ an der MET erzählt oder von Hans Werner Henzes „L’Upupa“ an der Semperoper. Schwingt bei dieser Leidenschaft für derart komplexe Werke seine balkanische Seele mit? „Für jede Musik. Aber erst 2014 erhielt ich durch den albanischen Botschafter von Zagreb die Gelegenheit zu meinem ersten Besuch dort. Meine Eltern haben ihre Heimat während des Hoxha-Regimes nie wieder betreten. Und doch habe ich mich dort sofort vertraut gefühlt.“
Zum Abschied gibt es einen langen Händedruck. Vom Nebentisch grüßen Musiker. Stefan Lano wird in Weimar ankommen, weil seine künstlerischen und menschlichen Erfahrungen hier gebraucht werden. „Lulu“ war für ihn, wie schon so oft in seinem Leben, eine glänzende Visitenkarte.
Stefan Lano dirigiert Bergs „Lulu“: