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Komponist Nathaniel Stookey im Porträt

Ein Mahler-Mosaik

Zum Abschluss des Zyklus „Mahler in Hamburg“ wird vor Mahlers Achter Nathaniel Stookeys Mahl/er/werk uraufgeführt

vonSören Ingwersen,

Als Nathaniel Stookey vom NDR den Auftrag erhielt, ein Eröffnungsstück für Mahlers Sinfonie der Tausend im Rahmen des Zyklus „Mahler in Hamburg“ zu schreiben, war er sofort Feuer und Flamme. Zum einen haben die zahlreichen Mahler-Konzerte der San Francisco Symphony in den letzten Jahren Stookeys Begeisterung für Mahler entfacht. Zum anderen führte die erste Reise, die Stookey auf eigene Faust unternahm, ihn 1986 nach Hamburg: „Ich war 16 Jahre alt und sofort verliebt in die Stadt. Wenn ich heute an Hamburg denke, denke ich natürlich an Mahler, aber auch an Brahms, Schnittke und die Beatles. Das sind musikalische Ikonen, die in bestimmter Hinsicht alle mein Werk beeinflusst haben.“

Manch ein Komponist hätte wohl Hemmungen, einen musikalischen Kommentar zu Mahlers monumentaler achter Sinfonie abzuliefern. Doch Stookey sieht es entspannt: „Beim Komponieren wurde ich von dem musikalischen Material regelrecht absorbiert, sodass ich gar nicht mehr an Mahler gedacht habe.“ Dabei stammt das vom Stookey verwendete „Material“ einzig und allein von Mahler.

Nathaniel Stookey konzentriert sich auf den ,kleinen‘ Mahler

„Mein Stück ist ausschließlich aus Sinfonie-Fragmenten Mahlers zusammengesetzt. Ich habe keine einzige Note hinzu komponiert. Da es aber nicht wie ein Medley klingen sollte, habe ich sehr kleine Teile gewählt.“ So ist ein eigenständiges, neues Klanggebilde entstanden, dessen Geburt aus dem Geiste Mahlers sich dem Konzertbesucher wohl kaum erschließen dürfte, da der Komponist die berühmten Mahler-Stellen bewusst gemieden hat: „Das ausladend Heroische und Romantische überlasse ich lieber Mahler selbst. Ich konzentriere mich auf den ,kleinen‘ Mahler, auf die Dinge im Verborgenen, die man gezielt beleuchten muss, um sie zu sehen.“

Es sind die eher progressiven Elemente Mahlers, die trickreiche Rhythmik, die unerwarteten Harmonien und frechen Farben, die Nathaniel Stookey für sein rund 20-minütiges Mahl/er/werk aufgegriffen und miteinander verwoben hat. „Dabei war es mir wichtig, respektvoll mit der Vorlage umzugehen. Jedes Element, das ich verwende, steht in der originalen Instrumentation und Tonart. Ich wollte auf keinen Fall etwas zerstören.“

„Im Grunde genommen ist Mahl/er/werk ein komplett gesampeltes Stück“

Das Instrumentalstück Mahl/er/werk ist Alfred Schnittke gewidmet, der in seinen Kompositionen ebenfalls Versatzstücke klassischer Werke aufgreift. Darüber hinaus klingt im Titel „Mahl/er/werk“ auch der Name der Düsseldorfer Band Kraftwerk an, Pionier der elektronischen Tanzmusik in den 70er Jahren.

„Ich denke, Kraftwerk ist die einflussreichste Musik aus Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Pop-Musik, aber auch für klassische Komponisten“, resümiert Stookey, der mit seinem Stück ein Verfahren anwendet, dass man gemeinhin der elektronischen Musik zuordnet: „Im Grunde genommen ist Mahl/er/werk ein komplett gesampeltes Stück. Nur dass die Samples nicht aufgenommen wurden, sondern notiert sind und live gespielt werden. Dahinter steht aber der gleiche Prozess, den DJs anwenden, wenn sie einen Remix erstellen und verschiedene Musikstücke und -stile miteinander kombinieren.“

Ob Mahler das gefallen hätte? Nathaniel Stookey nimmt es mit Humor: „Mahler selbst hat mit solchen Versatzstücken gearbeitet und sie seinen Werken angepasst. Ich hingegen habe nichts verändert, sondern nur neu zusammengesetzt. In dieser Hinsicht würde er mir meine Komposition hoffentlich nicht allzu übel nehmen.“

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