Elitäre Kunst für alle: Das klingt zunächst paradox, doch gibt es immer wieder Bestrebungen, diesen Grundsatz einzulösen. Der legendäre französische Theaterregisseur Antoine Vitez bezeichnete seine Bühnenkunst als „élitaire pour tous“, und auch die Bayerische Staatsoper in München schreibt sich seit Jahren „Oper für alle“ auf ihre Fahnen – buchstäblich. Im Bürgerhaus Pullach verfolgt die künstlerische Leiterin Hannah Stegmayer diesen Ansatz ebenfalls, wenn auch weniger aufdringlich: Einerseits soll das Gebäude kultureller Treffpunkt für alle Einwohner sein; andererseits kommen die Besucher auch dann, wenn weniger Populäres geboten wird, etwa zeitgenössische oder unbekannte Musik aus Renaissance und Barock.
Nun ist das kulturelle Interesse in dem nicht gerade armen Vorort im Münchener Süden durch die Sozialstruktur schon von Natur aus groß, Einfamilienhäuser und noble Boutiquen dominieren hier das Ortsbild, soziale Brennpunkte gibt es schlicht keine. Und doch verwundert es, dass in der Mitte eines 9000-Einwohner-Örtchens ein heller Glasbau internationale Stars wie den Cellisten Gautier Capuçon oder die Geigerin Vilde Frang anzieht. Es sind dies die Früchte jahrelanger Arbeit, die zuerst engagierte Privatmenschen und ansässige Sponsoren übernahmen, ehe sie 1996 das Bürgerhaus gründeten. „Die Musiker kennen sich ja alle untereinander. Da spricht es sich schon herum, wo man als Künstler gut behandelt wird oder ein Publikum ist, das etwas von Musik versteht. Die Zuschauer kommen hier aus kulturellem Interesse und nicht, um einfach nur ihre feine Garderobe auszuführen“, erklärt Stegmayer.
Bestechende Akustik im Quadrat
Dass sich Künstler und Zuschauer hier so wohl fühlen, liegt auch an der besonderen Atmosphäre des Hauses. Der quadratische Konzertsaal besticht durch eine Akustik, die schon so manche Musiker dazu bewog, hier ihre Alben einzuspielen. Zudem ist der Raum mit einer Kapazität von 430 Besuchern so bemessen, dass er dem Publikum einen nahen Kontakt zur Bühne erlaubt. Die Fensterfront eröffnet einen Ausblick über die Weite des Isartals, als säße man auf Bäumen inmitten einer Lichtung – ein Naturpanorama, das die Konzentration der Zuhörer auf angenehme Art und Weise fördert. Und nicht selten kommen die Künstler nach dem Konzert im Foyer noch ins Gespräch mit Besuchern: Stegmayer spricht denn auch gern vom Salon. Natürlich resultiert ihre erfreuliche Auslastung auch aus dem programmatischen Leitsatz, die Sparten E-Musik, Jazz, Theater und Kabarett gleichermaßen zu bedienen: Schließlich hat ein Bürgerhaus die Aufgabe, alle Kulturinteressierten anzulocken.
Individualität ist Trumpf im Pullacher Konzertprogramm
Und doch offenbart ein Blick ins Programm auch, was das Besondere dieses Ortes ausmacht, der gerade mal zwanzig Autominuten von Münchens Innenstadt entfernt liegt: Hier lassen sich die Verantwortlichen eben nicht von Künstleragenturen reinreden, sondern entwickeln ganz spezielle, individuelle Abende, die man so nur in Pullach zu hören bekommt – etwa eine Konzertreihe mit jungen russischen Pianisten und ihrem ganz eigenen, durch die russische Schule geprägten Interpretationsstil.
Zudem lassen sich im Bürgerhaus die Stars von morgen kennenlernen, denn Stegmayer achtet darauf, erstklassige Künstler für sich zu gewinnen, die gleichwohl noch am Anfang ihrer Karriere stehen wie die Pianistin Lise de la Salle oder die Geigerin Tai Murray. Es lohnt sich also durchaus, die Reise in den kleinen Ort anzutreten. Gilt hier doch nach wie vor: Elitäre Kunst für alle – auch für Kulturinteressierte, die nicht aus Pullach sind.