Der kleine Fluss Quillow fließt durch mehrere Orte der Uckermark. Orte, an denen viele der Musikerinnen und Musiker des Ensembles Quillo leben. Vor zwanzig Jahren wurde der Klangkörper von drei ehemaligen Solobläsern des Preußischen Kammerorchesters gegründet, als der Landkreis seine Trägerschaft des Orchesters beendete, was eine Umstrukturierung erzwang.
„Damals haben wir den Verein und das Ensemble Quillo gegründet, um im Gegenzug zu dem sehr klassisch ausgerichteten Programm des Preußischen Kammerorchesters eine zeitgemäße Musikkultur in der Uckermark aufzubauen“, erzählt Ursula Weiler, Flötistin und künstlerische Leiterin von Quillo. „Nach dem Modell des dänischen Esbjerg Ensembles oder der Bremer Kammerphilharmonie wollten wir ein selbstverwaltetes Ensemble gründen. Jede Person sollte ein anderes Instrument spielen, um maximale Flexibilität in der Programmgestaltung zu gewährleisten.“
Freie künstlerische Entfaltung
Da das Ensemble in keinerlei Abhängigkeit stand, konnte es sich frei entwickeln – sofern genug Geld für einzelne Projekte akquiriert werden konnte. Hornist Lutz Jonas rief das Vermittlungsprojekt „LandMusik“ zur Förderung junger Blechbläserinnen und -bläser in der Nordwestuckermark ins Leben, Weiler ließ ein altes Bauernhaus herrichten, um es mit zeitgenössischer Musik zu beleben: „Unser Spielort im 150-Seelen-Dorf Falkenhagen ist der vordere Teil eines ehemaligen Vierseithofs. Im hinteren Teil steht das Privathaus meiner Familie.“ Seit 2007 bietet der Hof Quillo nun einen Konzert- und Theaterraum, der Pferdestall wurde zum Kino umgebaut, und die alte Remise dient als Büro. Mit berechtigtem Stolz bezeichnen sich die Quillos als „regionalen kulturellen Ankerpunkt im ländlichen Raum des Landes Brandenburg“. Wie aber entstand die Idee, auch die Sparten Theater und Film mit einzubeziehen?
„Wir haben sehr schnell gemerkt, dass wir die künstlerischen Aspekte der zeitgenössischen Musik verstärken und in eine Form gießen müssen, die vermittelbar ist: Performances, inszenierte Geschichten und spartenübergreifende Projekte, die auf den ländlichen Raum zugeschnitten sind, die das Gegenüber wahrnehmen und mit einbeziehen“, erklärt Weiler. Auf die Lebensumstände der Menschen zugeschnitten sind auch die drei Filme, die das Ensemble in Eigenregie gedreht hat – partizipative Produktionen mit Kindern, Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen. Manchmal wird die Kinoleinwand aber auch zur Projektionsfläche für Multimedia-Aufführungen, wie die des Berliner Komponisten Helmut Oehring. Oder man initiiert einen Filmabend, um einander zu begegnen, ins Gespräch zu kommen und über diesen Umweg neues Publikum für die Musik zu gewinnen.
Neue Musik statt Mozart und Co.
Die klassische Vermittlungsstrategie gemischter Programme, in denen man etwa mit Mozart einen Köder auswirft, um Menschen auch die Neue Musik schmackhaft zu machen, ist in der Uckermark wenig erfolgversprechend. „Im ländlichen Raum ist auch Mozart nicht unbedingt vertraut. Vertraut sind hier nur die Menschen, die man kennt. Es geht also um Beziehungsarbeit“, erklärt Weiler. „Insofern hat man es mit zeitgenössischer Musik fast einfacher. Man kann völlig barrierefrei kommunizieren und Fragen stellen, weil jeder die gleichen Voraussetzungen mitbringt und es keine Deutungshoheiten gibt.“
Rund sechzig Auftragswerke hat das Ensemble bereits vergeben – von Kammermusikstücken bis zur abendfüllenden Kammeroper. Dabei gehe es niemals nur darum, eine Produktion „irgendwie gut aufzugleisen“, wie Weiler es ausdrückt, „sondern im Vorfeld auf Communities zur stoßen, die Fragen an uns haben und wir an sie.“ Mit den Mitteln der zeitgenössischen Musik begibt man sich dann gemeinsam auf die Suche nach Antworten.
Im Aufspüren von „Communities“ sind die Quillos, die inzwischen auf zwölf feste Mitglieder angewachsen sind, Spezialisten. Unterstützung bietet die mobile Bühne, ein aufklappbarer PKW-Anhänger, der Platz für eine Handvoll Musiker bietet und der auf Marktplätzen, an Wanderwegen oder Seeufern zum Einsatz kommt. So wird mancher, der nur Pilze sammeln oder sich im kühlen Nass erfrischen wollte, unverhofft mit „kurz inszenierten, frechen, kleinen Produktionen“ konfrontiert, „die ganz deutlich zeitgenössisch sind“. Das Ensemble Quillo packt das Thema Musikvermittlung – die sinnhafte Verknüpfung aktueller Musiksprachen mit unserer Lebenswelt – im Wortsinn an der Wurzel an. Ein Ansatz, von dem man hofft, dass er Schule macht.