Die illustren Beziehungen von Bild und Klang stehen dieses Jahr augenscheinlich hoch im Kurs. In ihrer Reihe „Klang im Auge“ widmete sich die Essener Philharmonie Kooperationen von Neuer Musik und Videokunst, und bei der Berliner MaerzMusik bildeten Neuvertonungen zentraler Werke der Stummfilm-Ära einen Programmschwerpunkt. Passend zu den Hamburger Faust-Aktivitäten am Thalia Theater und an der Staatsoper nimmt sich nun die Elbphilharmonie mit Faust – eine deutsche Volkssage Friedrich Murnaus legendärer Verfilmung von 1926 an – die letzte große Arbeit der deutschen Regie-Legende vor seinem Abflug nach Hollywood.
Ein musealer Cineasten-Abend mit Klavierbegleitung wird in Hamburg jedoch nicht zu erwarten sein: Der junge Berliner Komponist Tobias Schwencke hat in enger Zusammenarbeit mit dem Ensemble Resonanz Murnaus bildgewaltige Adaption mit Emil Jannings als Mephisto musikalisch völlig neu interpretiert. Schwencke suchte dabei gezielt den Dialog mit der Geschichte und schrieb eine Partitur, die nicht nur den Film reflektiert, sondern die Tradition musikalischer Faust-Reflexion gleich mit.
So entpuppte sich das Auftragswerk der Salzburger Festspiele bei der Premiere als musikalisches Konglomerat romantischer Versatzstücke aus Faust-Musiken von Wagner, Mahler, Schumann und Liszt. „Der Umgang mit diesen Vorlagen reicht vom direkten Zitat, das nur uminstrumentiert wurde, bis hin zur Übernahme von Motiven, mit denen ich dann eigenständig weiterkomponiert habe“, umreißt der Komponist seine Strategie kompositorischer Anknüpfung, die sich jenseits eklektischer Hommagen bewegt. Schwenckes Musik für Trompete, Hammondorgel, E-Gitarre und Ensemble geht bewusst gratwandlerisch zwischen den Zeiten und Medien ihrer Wege, bezieht ihre Wirkung gerade aus den Reibungen von altem und neuem, fremdem und eigenem Material. Einen betont „gegenwärtigen“ Kontrapunkt zur romantischen Ausdruckssphäre der Konzeption markieren beispielsweise die Solisten. Schwencke über die ungewöhnliche Besetzung des Stücks: „Mit der Hinzunahme der elektronischen Instrumente ergibt sich natürlich eine stilistische Herausforderung. Was passiert, wenn eine E-Gitarre romantisches Notenmaterial übernimmt?“
Schwenckes geschichtsträchtige Auseinandersetzung mit dem bewegten Bild folgt dabei keineswegs sklavisch den wechselhaften Gegebenheiten auf der Leinwand, sondern will als gleichberechtigte Ebene das Visuelle bereichern: „In jeglicher Hinsicht ist diese Musik ein eigenes Gewächs, weder rein illustrative Film-Musik, noch autonome Konzert-Musik. Der Film ist wie das 16. Instrument des Ensembles bzw. das Ensemble ist zusätzlicher Darsteller des Films.“
Mit Schwenckes kompositorischer Neuinterpretation des Murnau-Epos ist der Mythos Faust an der Elbphilharmonie jedoch keineswegs abgehakt. Im „Faust-Camp“ wird in Kooperation mit dem Ensemble Resonanz und mit K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg Jugendlichen und jungen Erwachsene eine Woche lang (kostenlos!) die Möglichkeit gegeben, die vielfältigen Zusammenhänge von Bild, Klang und Bewegung spielerisch zu erkunden. Gemeinsam mit den Musikern, einer Choreografin, einem Regisseur und einem Video-Künstler wird in interdisziplinären Workshops ein Stück erarbeitet, das in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit Goethes Drama, Murnaus Film und Schwenckes Musik seinen Ausgang nehmen wird. Die Ergebnisse des ambitionierten Projekts werden dann als „Pre-Concert“ vor der eigentlichen Filmaufführung präsentiert. Mal sehen, ob man dem genialen Murnau etwas die Schau stehlen kann. Schließlich sagte kein Geringerer als Gott zu Mephisto: „Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, dass Blüt und Frucht die künftgen Jahre zieren.“