Manche Inszenierungen bleiben dem größten Teil des Publikums verschlossen, da kann man sich als normalsterblicher Opernbesucher noch so gut vorbereiten. Könnte man sich doch vorher mit den maßgeblichen Beteiligten an dieser Inszenierung unterhalten! So oder so ähnlich wurde an solchen Abenden schon manch frommer Wunsch geäußert. Solche Gespräche mit „Insidern“ ermöglicht seit einigen Jahren die Baden-Badener Festspiellounge.
Intime Einblicke
So erhielt das Publikum kürzlich in einer Kooperation des Festspielhauses und concerti Einblicke in die Inszenierung von Bellinis „Norma“ mit Cecilia Bartoli in der Hauptrolle. Dirigent Gianluca Capuano, die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier sowie mehrere Chormitglieder erklärten die Produktion, während eine Diskussionsrunde mit Musikkritikern weiterführende Denkanstöße lieferte.
Sie alle gaben intime Einblicke, wie kein Programmheft und keine Einführung sie geben können: Dirigent Capuano etwa berichtete von der besonderen Zusammenarbeit mit Bartoli, die anders als viele Primadonnen immer den Ausdruck und die Wahrhaftigkeit in den Vordergrund stelle und nicht den Schönklang ihrer Stimme. Chormitglieder berichteten von der Einstudierung mit Capuano, von der Sinnhaftigkeit und Einheit zwischen Musik und Szenerie. Auch die Besonderheiten der Produktion mit dem Spezialisten-Ensemble I Barocchisti, dem ebenfalls eher in der Alten Musik verorteten Coro della Radiotelevisione svizzera und der kritischen Neuedition der Partitur konnte der Dirigent mit anschaulichen Beispielen verdeutlichen.
Mehr als nur den Eindruck schöner Musik
Die Regisseure Leiser und Caurier wiederum beleuchteten ihre Inszenierung, in der sie die Geschichte um die verbotene Liebe zwischen einer Gallierin und einem römischen Besetzer in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und ins besetzte Frankreich verlegten. Dabei ging es nicht um eine Provokation oder Modernisierung um jeden Preis, sondern darum, die Figur der Norma mit ihren inneren Konflikten und ihrer Zerrissenheit dem Publikum näherzubringen. Nichts anderes hatte ja der Komponist Vincenzo Bellini selbst getan, der die Besetzung Italiens vor Augen hatte, aber mit der österreichischen Zensur im Nacken den Stoff lieber in die römische Antike zurückverlegte.
Die Gesprächsrunde mit Prof. Dr. Stephan Mösch (Hochschule für Musik Karlsruhe, ehemals „Opernwelt“), Götz Thieme (Stuttgarter Nachrichten) und Andreas Fladvad-Geier (Opernreferent Festspiele Baden-Baden) schließlich thematisierte Vergleiche mit anderen Inszenierungen und musikalischen Interpretationen samt Hörbeispielen. Die Besonderheit der Produktion mit ihrer historisch informierten Spielpraxis wurde dabei einmal mehr deutlich.
„Ich habe Details wahrgenommen, die ich sonst bestimmt übersehen hätte. Dadurch konnte ich der Handlung und den Beweggründen der Figuren viel besser folgen“, resümierte eine Zuschauerin nach der Premiere. Es hat sich also gelohnt – das (informierte) Publikum jedenfalls hat aus diesem Opernabend sicherlich mehr mitgenommen als „nur“ den Eindruck schöner Musik.