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Porträt Francesco Tristano

Musik im Fluss

Der Pianist Francesco Tristano schlägt die Brücke zwischen Bach und Cage

vonJakob Buhre,

So schnell kann es gehen. Noch im November 2010 veröffentlichte Francesco Tristano ein Album beim kleinen französischen Label „infine“. Vier Monate später steht bereits die nächste Platte im Regal mit Tristano auf dem Cover – doch nun prangt rechts oben das gelbe Logo der Deutschen Grammophon. Wer Tristano kennt, dürfte geahnt haben, dass früher oder später eine große Plattenfirma auf ihn aufmerksam würde. Schließlich ist der 30-jährige Luxemburger seit geraumer Zeit enorm umtriebig.

Das Klavierspiel begann er mit fünf Jahren, mit 13 gab er sein Konzert-Debüt, auch eigene Kompositionen standen damals schon auf dem Programm. Wenig später konzertierte er u.a. mit dem Russischen Nationalorchester unter Michail Pletnjew. Sein Studium führte ihn über Brüssel, Riga, Paris und Barcelona nach New York, wo er es an der Juilliard School abschloss. Da aber wandelte er längst nicht mehr nur auf akademischen Pfaden. „Als ich nach New York kam, habe ich die DJ-Welt kennen gelernt und angefangen, Techno zu hören“, erzählt Tristano.

Die Begegnung mit der Musik der Clubs sollte fortan sein Schaffen prägen. Er begann mit elektronischen Sequenzen zu arbeiten, arrangierte Techno-Stücke fürs Klavier. „Ich finde, dass sich das Klavier sehr gut für Techno eignet, weil es eigentlich auch eine Maschine ist. Es besteht aus Metall, Holz, Saiten, Tasten, man kann einen sehr perkussiven Sound erzeugen, der auch sehr schön modulieren kann, indem man mit dem Pedal oder den Saiten spielt.“

In New York traf Tristano den einflussreichen Techno-Produzenten Carl Craig, mit dem er wenig später sowohl klassische Konzertsäle als auch Clubs zum Grooven brachte. Im Trio mit Craig und dem Berliner Moritz van Oswald entstand die audiovisuelle Show „Technophonic“, aufgeführt u.a. in der Londoner Royal Festival Hall und kürzlich in der Hamburger Laeiszhalle, wo Tristano aktuell außerdem als Artist in Residence der Hamburger Symphoniker musiziert.

Lauscht man seinen CD-Einspielungen von Bach bis Berio, den Improvisationen, Live-Experimenten und seinen Erklärungen, so stellt man fest: Tristano ist Teil einer Generation, die nicht mehr in den Genres Klassik/Pop/elektronische Musik denkt. Für ihn stellt die Kombination musikalisch vermeintlich ferner Welten keinen Bruch, sondern eine Selbstverständlichkeit dar. „Ich betrachte die Musik als ein Kontinuum, zu dem eben auch die elektronische Musik gehört. Wir haben heute durch die Technologie die Möglichkeit, jede Art von Musik oder Klangfarben miteinander zu kombinieren.“

Es ist erfreulich, dass die Deutsche Grammophon Tristano nicht für die x-te Einspielung von Tschaikowskys Klavierkonzert oder ein Best-of-Romantik-Recital verpflichtet hat. Stattdessen vereint er auf seinem DG-Debüt – wie auch beim Konzert im Radialsystem am 27. April – Bach und John Cage. Schnittmengen zwischen Werken wie Bachs Partita Nr. 1 B-Dur und Cages In a Landscape oder The Seasons findet er in Tonalität, Anlage und musikalischem Gestus. Cage wirkt hier wie ein Echo, zurückgeworfen nach zwei Jahrhunderten ist es dem Original ähnlich, jedoch gebrochen durch die vielschichtige Musikentwicklung seitdem.

Die Überzeugung, mit der Tristano dabei vorgeht, ist bemerkenswert, sein Engagement entfacht die Hoffnung, dass sich durch Künstlerpersönlichkeiten wie ihn auch die nachwachsende Hörer-Generation mit der Neuen Musik identifizieren kann.

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