Ein ruhigeres Viertel im Kölner Süden. Von außen ist nicht viel zu sehen, sein Reich beginnt jenseits der Straße: Nach kurzem Surren geht das weiße Tor auf – hereinspaziert! Hier wohnt Frank Peter Zimmermann nun schon seit Jahren mit seiner Familie: Der gebürtige Duisburger ist in der Domstadt heimisch geworden und öffnet selbst die Tür. Wirkt er erleichtert? Schwer zu ermessen – verständlich indes wäre es nur zu gut, nachdem ihm das vergangene Jahr arg zugesetzt hat. Seit 2002 spielte Zimmermann auf der so genannten „Lady Inchiquin“, einer Stradivari-Geige, die ihm die WestLB und dann deren Nachfolgerin Portigon leihweise zur Verfügung gestellt hatte. Doch da die Geschäfte bei dem Finanzdienstleister nicht eben gut liefen, sollte das millionenteure Instrument zu Geld gemacht werden. Der Geiger bot mit, doch nicht um jeden Preis – am Ende wurde man sich nicht handelseinig. Just zu seinem 50. Geburtstag musste Zimmermann im Februar 2015 die „Lady“ abgeben, die nun in einem Tresor fernab von Nordrhein-Westfalen schmort und dort die Höchststrafe erleidet: Sie wird nicht mehr gespielt. Fatal, denn die Qualität einer Geige erhält sich nur, wenn sie leben und atmen darf.
Was haben Sie unternommen, um ein gleichwertiges Instrument zu finden?
Jede Menge. Ich habe eine Reihe von Geigen ausprobiert, habe überall nachgefragt, aber nichts Geeignetes gefunden. Zehn Monate lang hatte ich ungefähr alle zwei, drei Wochen eine andere Geige, doch bei jeder dachte ich letztlich: Diese Stimme passt nicht zu mir.
Immerhin haben Sie Ihre neue Mozart-CD mit einer dieser Geigen aufgenommen.
Auch eine Stradivari. Es war Glück, dass ich sie zur Zeit der Aufnahme spielen durfte; im Konzert ist dieses Instrument allerdings problematisch, weil es ihm an Volumen fehlt. Vor dem Mikrophon aber klingt die Geige gut, sie hat viele Farben und ein helles Timbre.
Das Miteinander von Musiker und Instrument ist vor allem bei Streichern von herausragender Bedeutung. Warum?
Man wächst über Jahre mit diesem Instrument zusammen. Es dauert und dauert, bis man es wirklich beherrscht und jede Kleinigkeit herauskitzeln kann. Man atmet mit diesem Instrument und lebt mit ihm so eng wie mit einem Partner. Daher gebe ich auch zu, dass ich hoffe, die „Lady Inchiquin“ eines Tages wieder spielen zu dürfen: Musikalisch ist sie die Liebe meines Lebens.
Im Dezember 2015 tourte Zimmermann dann mit dem WDR Sinfonieorchester durch Asien. Kurz vor einem Konzert in Shanghai bekam er Besuch im Künstlerzimmer, und wieder sollte er eine Geige unter die Lupe nehmen. Ein wenig müde, sagte FPZ, wie er gern genannt wird, zu. Als er den Koffer öffnete, sah er sofort, dass es eine „Strad“ (wie sie unter Kennern genannt wird) war – und nach nur wenigen Tönen konnte er das Instrument genau identifizieren: Es war der „General Dupont“, einst im Besitz des belgischen Geigers Arthur Grumiaux. Dieses Instrument hatte wenige Monate vorher ein gewisser Herr Yu ersteigert, ein chinesischer Industrieller mit deutschem Pass. Eigentlich hatte der Geschäftsmann das Instrument einem Nachwuchsgeiger zur Verfügung stellen wollen; doch Yu, der sein Vermögen mit dem Verkauf von Wandfarben gemachte hatte, spürte, dass Zimmermann Augen und Ohren übergingen, als der das Instrument erkannte; und als der Musiker die Geige keine Stunde später im Konzert in Shanghai sofort spielte, war klar: Die beiden, Zimmermann und der „General“, bleiben zusammen. Zumindest für drei Jahre. So lange läuft der Leihvertrag, erst einmal.
Wieso haben Sie diese Geige so schnell identifizieren können?
Zunächst einmal haben alle wirklich bedeutenden Stradivari-Geigen eine eigene Persönlichkeit und damit ein eigenes Timbre. In diesem Fall war es für mich leicht, weil mein Vater zahlreiche Bach- und Mozart-Platten mit Grumiaux im Schrank hatte. Ich bin mit diesen Aufnahmen groß geworden und habe sozusagen diesen unverwechselbaren Klang im Ohr.
Wie lässt sich dieses Kriterium „unverwechselbar“ beschreiben?
Zunächst einmal diese unglaubliche Süße auf der E-Saite! Je nachdem, wie man vibriert, meint man, Grumiaux spiele selbst. Verglichen mit der „Lady“ ist diese hier heller: Zwar haben D- und G-Saite auch eine gewisse Tiefe, aber nicht so tief mitternachtsblau wie bei der „Lady“. Dafür hat der „General“ eben diesen Schmelz, etwas insgesamt Apollinisches. Die „Lady“ ist auf allen vier Saiten unglaublich ausgeglichen und hat etwas Guarneri-Artiges auf den beiden tiefen Saiten. Das ist vielleicht auch die Zeit: 1711 war Stradivaris größte Zeit, er war absolut auf dem Höhepunkt – der „General“ stammt von 1727 und ist ein Spätwerk des über 80-jährigen Stradivari.
Was bedeutet all das für Ihr tägliches Üben?
Ich habe schnell gemerkt, wie viel Mehr-Arbeit nun auf mich wartet. Man muss so viele Nuancen und Dinge neu überdenken: Wie mache ich das mit dem Bogen, wie mache ich das mit dem Vibrato? Diese Geige ist, wie alle „Strads“, eine ziemliche Primadonna, sie ist nicht einfach zu spielen. Ich möchte aber das Beste aus ihr herausholen und sie wirklich spüren lassen, dass sie sich bei mir wohlfühlen darf.
Während der Suche nach einem neuen, geeigneten Instrument hat Zimmermann gegenüber der Öffentlichkeit geschwiegen. Ohnehin ist er kein Freund des Glamours: Seine künstlerischen Wege bahnt er sich still und unaufgeregt, dafür mit äußerster Akribie. In einer Branche, die pralle Jugendlichkeit am Virtuosenhimmel immer wichtiger zu nehmen scheint, stellt Zimmermann eine Ausnahme dar. Zeitgeist und Mode sind Begriffe, von denen er sich zu distanzieren weiß, äußeres Brimborium ist für ihn mit der Sache selbst nicht vereinbar.
FPZ: „Wir wissen ja alle, dass das Visuelle immer wichtiger wird. Leider auch in der Klassik. Ich kann mich erinnern, als ich im Kindesalter zum ersten Mal Svjatoslav Richter live gehört habe, oder Benedetti Michelangeli: Denen war vollkommen egal, wie sie aufs Podium kommen und wie sie sich zum Publikum verbeugen – die haben einfach angefangen zu spielen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Musik war da, und sie war so erdrückend großartig gespielt, das hat gereicht.“
Es passt ins Bild, dass Zimmermann auch und vor allem die Kammermusik liebt. Seit einigen Jahren hat er ein Streichtrio, mit Antoine Tamestit und Christian Poltéra. Eine Ausnahme im internationalen Musikbetrieb, auch weil das Repertoire überschaubar klein ist: Mozart, Schubert, Beethoven und einiges aus dem 20. Jahrhundert – das war’s schon.
FPZ: „Bei der Kammermusik weiß man, wie weit man im Zusammenspiel kommen möchte. Man kann sich genauere Ziele setzen – bei einem Orchester-Violinkonzert ist immer ein Glücksfaktor im Spiel. In der Kammermusik hat man zum einen mehr Zeit und kann zum anderen wirklich bis zu kleinsten Feinheiten vordringen.“ Und so sind die Probenphasen für den 51-Jährigen „manchmal eine Art Selbstentblößung und Selbstzerfleischung, aber eigentlich das Schönste im Leben“.
Inzwischen macht Zimmermann wieder dort Zwischenstation, wo seine Karriere anfangs den entscheidenden Schub erfuhr: bei Mozart. Nun liegt der zweite Teil einer Aufnahme mit sämtlichen Konzerten vor.
Die Mozart-Konzerte sind die ersten Werke, die Sie jetzt ein zweites Mal eingespielt haben.
Die frühen Aufnahmen von Anfang der 80er Jahre liegen mehr als drei Jahrzehnte zurück. 2006 haben wir mit dem kleinen Orchester des Bayerischen Rundfunks diese Werke dann im Konzert gespielt: Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass wir beschlossen, die Werke aufzunehmen. Es dauerte dann allerdings noch ein paar Jahre, bis wir die passenden Termine gefunden haben.
Ganz ohne Dirigent?
Ja – und alle Musiker, bis auf die Cellisten, spielen im Stehen.
Braucht es ein Mehr an Lebenserfahrung, um diese Werke zu spielen, auch wenn Mozart selbst ja noch ein Jungspund war, als er die Konzerte schrieb?
Es ist hier wie bei allen großen Werken: Je länger man die Musik in sich aufgesaugt hat, desto mehr Ideen entstehen. Damals, bei der ersten Aufnahme, war ich noch stark von Oistrach beeinflusst und habe die Stücke sehr romantisch gespielt. Jetzt ist es schlanker und geradezu klassischer geworden. Natürlich bin ich als Geiger immer noch Romantiker und spiele mit Vibrato; bei Mozart aber habe ich versucht es herunterzufahren, weil der Klang dann eben dünner und reiner wird. Doch meine Art zu spielen bleibt: Da kann ich mich nicht verleugnen.