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Porträt Gabriela Montero

Das Dauerradio im Kopf der Pianistin

Gabriela Montero kann nicht nur Klassik: Auf Kampnagel lässt das Improvisationsgenie nun seiner Fantasie freien Lauf

vonChristoph Forsthoff,

Mein Kopf ist ein Dauerradio – und ich glaube, diese Musik muss irgendwann raus.“ Klingt folgerichtig – und nimmt sich doch in der Konzertwirklichkeit wie ein kleines Wunder aus. Handelt es sich doch bei dem attraktiven „Sender“ nicht um eine Jazzerin, sondern um eine klassische Pianistin: Gabriela Montero spielt Chopin, Piazzolla oder auch Publikumsreißer wie Rachmaninows zweites Klavierkonzert jetzt bei ihrem Auftritt mit dem NDR Sinfonieorchester. So leicht, gewitzt und brillant, dass die große Martha Argerich die junge Kollegin einst unter ihre Fittiche nahm, ihr Talent pries und förderte.

Vorbild und Mentorin: Klavierlegende Martha Argerich 

 

Doch es ist nicht allein die Seelenverwandtschaft in puncto Tastentemperament, die bei der argentinischen Klavierlegende eines Nachts die Begeisterung für die Venezolanerin entfacht hatte: Eigentlich hatte Montero der Argerich abends nach einer Probe vorspielen sollen, doch dann zog sich diese bis halb zwei Uhr hin. So setzte sich ihre junge Kollegin erst zu früher Morgenstunde an den Flügel – aber statt zu interpretieren improvisierte sie – über die Art der Interpretation ihres großen Vorbilds. Und die Grande- Dame des Piano war hingerissen, fasziniert von dieser Fähigkeit, Schuberts Forelle rocken zu lassen und Tschaikowskys Konzert-Schlachtrösser in coolen Jazz zu verwandeln. Und machte ihr begreiflich, dass es eine Sünde sei, wenn sie dieses Talent vernachlässige – denn zuvor hatte Montero die schwarz-weißen Tasten zwei Jahre ruhen lassen, weil ihre vorige Klavierlehrerin ihr das Improvisieren verboten hatte. Doch eben diese Improvisationen waren für die Südamerikanerin stets der natürlichste Zugang zu ihrem Instrument gewesen. „Weil ich dann eine kindliche Freude habe, eine wunderbare Unbefangenheit“ – seit sich die kleine Gabriela mit drei Jahren ans Klavier gesetzt und über die von ihrer Mutter vorgespielten Schlaflieder „meditiert“ hatte.

 

Melodien aus dem Publikum – verwandelt auf ihre Art 

 

Heute verbindet sie in ihren Konzerten die klassischen Funkenschläge mit den Geistesblitzen, wenn die Pianistin auf Zuruf Bach verjazzt oder das Ave Maria unter ihren Händen zum ekstatischen Volkstanz mutiert. Ein Spiel mit den Stilen und dem Moment, das noch im 19. Jahrhundert als eine der größten Künste des Virtuosen gegolten hatte, doch in unserer Zeit dem Jazz vorbehalten schien. Bis, ja bis eben diese dunkelhaarige Schönheit kam und die Spielräume der Klassik neu auszuloten begonnen hat: Die über den Barbara Streisand-Song The way we were preludiert, Tschaikowskys Nussknacker Boogie tanzen lässt und in Hamburg auch schon einmal die Reeperbahn nachts um halb eins mit schwer süßlichen Fantasien à la Ravel erfüllt hat. All das nicht nur mit feinster Anschlagskultur und fabelhafter Geläufigkeit, die das Publikum rasen lassen, sondern vor allem mit unglaublichem Sinn für den roten Faden der Musik. 

 

Und so wird die Venezolanerin auch auf Kampnagel nach ihrem klassischen Konzert wieder das Publikum animieren, ihr Motive vorzusingen. Mit diesen Fragmenten wird sie auf den Tasten die Suche nach den Melodien aufnehmen, diesen für einen Moment lang nachlauschen und dann ihrer Fantasie auf den Tasten freien Lauf lassen. 

„Improvisation ist wie ein Brunnen, dem es einfach nicht an Wasser fehlt. Er fließt eben.“ Klingt wundersam, doch glaubhaft, wenn Gabriela Montero behauptet, nicht zu wissen, wie sich ihre musikalischen Verwandlungen ereigneten. „Es passiert einfach – die Grundvoraussetzung ist der Mut, sich gehen zu lassen.“ Eben einfach das Radio aufzudrehen, wenn die Musik raus will.

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