Kaum ein Mensch ist so hohen Erwartungen ausgesetzt wie ein Solokünstler: immerzu Bestleistung zeigen, Publikum loben, zu den Orchesterkollegen auf dem Podium artig sein, gut dosiert Geschichten aus dem Privatleben verzwitschern, Kamera, selbstbewusstes Lächeln, klick. Weltgewandte Musiker jenseits ihrer immer etwas einstudiert wirkenden Rhetorik des „Musik ist mein Leben und mein Beruf war schon immer mein Traum“ wahrzunehmen, braucht Glück.
Auch Gautier Capuçon, aufsteigender Stern am Cellistenhimmel, kann kaum verhindern, dass er zunächst mehr als Beau wahrgenommen wird denn als Musiker. Mit dem Kreuzkettchen am Hals und den rehbraunen Augen, vor allem aber mit seiner Oscar-Wilde-Mähne, die sich so elegant-telegen nach hinten streichen lässt, wirkt der edle Franzose wie ein in die Erwachsenenwelt vorgedrungener Primus. Der Schein trügt. Capuçon ist tatsächlich so etwas wie ein Träumer, ein Idealist, der, wie er selbst zugibt, seinem Instrument fast eine erotische Ausstrahlung zutraut. Und in der Tat ist aus seinem Spiel der Elegiker herauszuhören, der seiner französischen Schule treu bleibt, ohne sich der weltweiten Klangangleichung vollständig erwehren zu können: Für seinen intensiven Ton wird Capuçon weltweit gefeiert. Doch im Grunde beeindruckt eher seine so seltsam angreifende Introversion, die ganz urtümliche Kraft des vokalen Phrasierens, das der französischen Sprachmodulation so verwandt ist. Capuçon gibt seinen Tönen viel Raum, lauscht ihnen nach, schließt gern schleierhaft die Augen, kultiviert das Bild eines von sich selbst Mitgenommenen. Das sieht vielleicht eitel aus, aber man sollte sich nicht täuschen lassen: Capuçons Gedanken, die er sich um die Musik macht, sind Ausdruck einer aufrichtigen Sprache. Seine Innigkeit ist wirklich echt.
Für 36 Stunden nach China? „Eigentlich verrückt“
Und auch an anderer Stelle bricht er ganz das Bild des PR-geschulten Virtuosen, der gern überall auf gute Laune macht: Capuçon kennt die Gefahren des Solistentums, weiß um die größten Feinde der Musik: Routine und Überdrehung. „Ausbrennen ist die Seuche des 21. Jahrhunderts, viele beginnen darüber zu sprechen, das Leben wird schneller, die Zeit knapper. Das ist für die Kunst schlecht, der gerade, direkte Weg ist schwerer zu finden.“ Rückzugspunkte, die Gautier Capuçon vor allem bei seiner in Paris lebenden Familie mit zwei ein und vier Jahre alten Töchtern findet, befördern das Bei-sich-Sein. Man müsse ersuchen, diesen Raum zu finden, sonst verliere man die Bodenhaftung. Und der Puls, die Schlagzahl, die Entfernungen werden immer größer. Jüngst war ich für 36 Stunden in China, das ist doch eigentlich verrückt. Aber das betrifft ja nicht nur Musiker. Sie müssen nur besonders vorsichtig sein, um ihre Grenzen zu kennen. Physisch und psychisch.“
Weil das Konzertrepertoire für Cellisten nicht besonders breit ist, pflegt Gautier Capuçon die Zeitgenossen. „Wir dürfen kein Museum sein. Zu Schuberts Zeiten gab es nur zeitgenössische Musik. Wir müssen die Musik unserer Zeit spielen.“ Daneben gilt seine Liebe der Kammermusik: Er musiziert auch abseits der Orchester mit der allerersten Garde vom Schlage einer Martha Argerich, Hélène Grimaud oder eines Daniel Barenboim. Oder auch mit seinem nicht minder berühmten Bruder Renaud Capuçon, der sich eine vielbeachtete Geigerkarriere aufgebaut hat. „Wir lernen viel voneinander. Früher haben wir sehr oft zusammen gespielt, vielleicht zu oft. Man muss da eine gute Balance finden. Jetzt sind es nur noch etwa vier bis fünf Konzerte pro Saison.“ Eifersucht? Capuçon verneint lächelnd: „Dafür bin ich nicht der Typ.“