Zur Probe hatte Marek Janowski keine Journalisten zugelassen, schließlich war es die erste Begegnung des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin nicht nur mit Gil Shaham, sondern auch mit dem Violinkonzert des Briten William Walton. Als ich wie verabredet kurz vor Probenende im Großen Rundfunksaal an der Masurenallee bin, sitzt Shaham bereits in der Solistengarderobe und spielt Klavier. „Die Probe war wunderbar, ein tolles Orchester“, sagt er und strahlt, wie er es in der nächsten halben Stunde häufiger tun wird.
„Ich bin nur ein Geiger“, sagt er zweimal. „Ich weiß es nicht, was meinen Sie?“, antwortet er ein andermal. Und wirkt dabei, als wäre er wirklich interessiert an einer Antwort. Auf die Frage, wie er auf die Idee gekommen ist, die Violinkonzerte von Walton und Barber und das zweite von Bartók zu einer Konzertreihe zu verknüpfen, antwortet er entwaffnend: „Es ist einfach eine wunderbare Entschuldung, einige meiner Lieblingswerke zu spielen.“ Schiebt dann aber doch nach: „Es ist erstaunlich, dass Komponisten wie Berg, Schönberg, Strawinsky, Szymanowski, Hindemith, Hartmann, Prokofjew alle in den 30er Jahren Violinkonzerte geschrieben haben. Die Leute lebten wie am Rande eines Vulkans, der drauf und dran war auszubrechen. Vielleicht ist es möglich, durch die Musik etwas zu sehen und zu verstehen von dieser Zeit. Eine solche Reihe eröffnet interessante Fragen. Aber Antworten habe ich nicht.“
Es passt ins Bild, dass sich Shaham nicht in Worthülsen flüchtet, sondern auf die Frage nach den politischen Aspekten in diesen Werken abwiegelt: „Wir wissen nicht, was in den Köpfen der Komponisten vorging. Jedes große Kunstwerk kann man aus unendlich vielen verschiedenen Blickwinkeln sehen. Als Musiker wächst man mit jedem Blick, den man neu auf ein Werk wirft.“
Zwar hat er keine Scheu vor Virtuosenfutter wie Paganini oder Sarasate, doch seine Domäne sind die Kantilenen, die er mit unvergleichlicher Noblesse zu singen versteht. Man glaubt ihm sofort, dass er sich, wie es in seiner offiziellen Biografie steht, in der Romantik am wohlsten fühlt. Auch wenn er das selbst so nicht stehenlassen will. „Da bin ich wie ein Kind: Wenn ich etwas höre, das mich packt, dann will ich es auch spielen, dann werde ich besessen – egal aus welcher Zeit das Werk ist.“
Die Konzerte von Bartók und Barber spielt er schon lange, nur um den Walton hatte er einen Bogen gemacht. „Meine Frau Adele Anthony spielte den Walton, das war ihr Stück. Ich hatte Angst, das zu üben, wenn sie im Zimmer nebenan ist. Aber vor einigen Jahren sagte sie plötzlich: Ich lerne jetzt den Korngold. Das war mein Stück. Und da habe ich mir gesagt: Gut, dann kann ich auch den Walton lernen.“ Zum Glück, wie man nach dem gefeierten Konzert mit dem RSB im Februar sagen muss.
Eine ähnliche Konzertreihe mit jüngeren Werken hält Gil Shaham nicht für möglich. „Ich habe nichts Vergleichbares gefunden, die 1930er Jahre waren für das Violinkonzert ein unglaublicher Höhepunkt. Aber schauen Sie, was in den letzten fünf Jahren an Violinkonzerten geschrieben wurde: von Widmann, Adès, Glass, John Adams, Goliov, Brett Dean, Gubaidulina – wundervolle Musik, soweit ich sie gehört habe. Wir leben in einer sehr aufregenden Zeit. Vielleicht kann man eines Tages eine Reihe machen mit Werken um 2010.“