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Porträt Guiseppe Sinopoli

Der vielschichtige Mensch

NDR Kultur porträtiert den Dirigenten Giuseppe Sinopoli in der Reihe „Die großen Stars der Musik“

vonSabine Lange,

Eine Partitur zu interpretieren heißt, das Leben zu interpretieren“. Der italienische Dirigent Giuseppe Sinopoli war vielseitig wie kein anderer Kollege. Er studierte Medizin, Psychiatrie, Archäologie, Kriminalanthropologie – und Musik. „Ich glaube, ein Mensch besteht aus verschiedenen Schichten, und die erzählen seine Geschichte. Ich bin froh, dass ich nicht nur Musik mache und mich nicht nur mit den Problemen beschäftige, die in der Musikwelt auftreten. Intrigen und Machtspiele – dafür habe ich keine Zeit. Ich studiere lieber die alte Welt der Griechen oder der Mesopotamier. Deren Auffassungen existieren heute vielleicht nicht mehr, aber sie spiegeln sich in der Musik, wie ich sie aufführe.“

Giuseppe Sinopoli war ein ungewöhnlicher Dirigent und Komponist, der mit avantgardistischer Musik ebenso Erfolge feierte wie mit deutsch-österreichischem Repertoire, das er besonders liebte, und den Opern Giu­seppe Verdis und Giacomo Puccinis. Sinopoli war ein leidenschaftlich intellektueller Südländer, der nach einer Aufführung lieber in sein Hotel zurückeilte, um wissenschaftliche Bücher über alte Kulturen zu studieren, als mit seinen Kollegen essen zu gehen.

Auf die Frage einer Journalistin, welche drei Platten Sinopoli auf eine einsame Insel mitnehmen würde, antwortete er überraschend: „Johann Sebastian Bach – die Matthäus-Passion, seine Missa und die Johannes-Passion.“ Eine verblüffende Auswahl für einen Dirigenten, der seit 1972 Zeitgenössische Musik am Konservatorium seiner Heimatstadt Venedig gelehrt und 1975 das Ensemble „Bruno Maderna“ gegründet hatte, um die zeitgenössische Musik zu fördern. Der 1981 eine eigene Oper (Lou Salome) in München uraufgeführt und fast zeitgleich eine rasante Karriere als weltweit gefragter Opern- und Konzertdirigent gestartet hatte.
Geboren wurde Sinopoli am 2. November 1946 als ältestes von insgesamt zehn Kindern. „Mein Vater wollte, dass ich etwas Anständiges im Leben mache. Da ich ihn sehr geliebt habe, wollte ich ihm den Gefallen tun. Als anständig empfand er den Beruf des Arztes. Also habe ich Medizin und Psychiatrie studiert. Wenn ich dann nicht Musiker geworden wäre, wäre ich Archäologe mit Liebe für die Psychoanalyse gewesen. Das sind alles verschiedene Aspekte der Menschheit – all diese Disziplinen können dazu dienen, den Menschen ‚auszugraben‘.“

1983 wurde Sinopoli Chefdirigent des Philharmonia Orchestra London und konzentrierte sich mit dem Ensemble auf Mahler, Strauss und Bruckner. Gleichzeitig wurde er Chefdirigent der Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom. Wenige Jahre zuvor hatte er in Venedig seine erste Oper dirigiert, Verdis Aida – nach seinem sensationellen Macbeth in der Deutschen Oper Berlin wollte ihn dann alle Welt hören. Sinopoli wurde an die Metropolitan Opera New York ebenso verpflichtet wie nach Bayreuth, wo er als ständiger Gast unter anderem den Fliegenden Holländer dirigierte und mit Jürgen Flimm als Regisseur einen neuen Ring des Nibelungen herausbringen sollte.

Zum Eklat kam es, als Giuseppe Sinopoli Anfang der 1990er Jahre Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin werden sollte, sich aber nach kurzer Zeit mit dem Intendanten Götz Friedrich spektakulär überwarf. Als Sinopoli später, am 20. April 2001, Verdis Aida in der Deutschen Oper dirigierte – eine Inszenierung von Götz Friedrich –, widmete er den als Zeichen der Versöhnung gedachten Abend dem in der Zwischenzeit verstorbenen Intendanten. Es wurde eine verhängnisvolle Aufführung: Giuseppe Sinopoli erlitt kurz nach der Pause am Pult einen Herzinfarkt und starb wenig später. Sein Leichnam wurde nach Rom überführt und auf dem Kapitol aufgebahrt. Italien nahm im Beisein hochrangiger Politiker Abschied von einem seiner besten und beliebtesten Künstler.

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