Es gibt ihn also auch dreidimensional. Aber es wäre dann doch ein wenig seltsam gewesen, in der Konzertpause auf Schloss Johannisberg im Rheingau das Publikum beim Rieslinggenuss zu stören und zu fragen, ob sich jemand über diese Dreidimensionalität wundern würde. Als „Cateen“ nämlich erlangte dieser junge Pianist, wegen dem sich alle hier eingefunden haben, auf der Video-Plattform Youtube Bekanntheit. Im echten Leben aber heißt er Hayato Sumino, 1995 in Japan geboren. Den Namen Cateen hat er sich als Dreizehnjähriger zugelegt, ursprünglich für Computerspiele. Er mag Katzen, sie tauchen in seinen Klaviervideos immer wieder auf, das „Cat“ hat damit zu tun. Der Katzen-Teenager von damals steht dazu: „Ich fand den Namen einfach hübsch“, sagt er heute.
Variationskunst
Unzählige Menschen kennen den Pianisten nur zweidimensional. 1,36 Millionen Abonnenten hat sein Youtube-Kanal, elf Millionen Mal wurden etwa seine selbst kreierten Variationen über „Twinkle, Twinkle Little Star“ aufgerufen. Seine Videos zeigen gut gemachte Arrangements und sind augenzwinkernd in Szene gesetzt, etwa wenn er Billie Eilishs „bad guy“ covert im übergroßen Kapuzen-Hoodie. Aber auch seriöser Chopin findet bei ihm Millionen von Zuhörern, und als er 2021 beim Warschauer Chopin-Wettbewerb bis ins Halbfinale vorrückte, waren 45 000 seiner Fans live online mit dabei, eine unerreichte Zahl in der Geschichte dieses renommierten Wettbewerbs. Man muss jetzt nicht unbedingt so weit gehen wie jener Online-Kommentator namens Chopin4321, der vor zwei Jahren unter ein Cateen-Video schrieb, der Pianist habe „den titanischen Sinn für das Erhabene, den Ausdruck eines starken Willens, eine Terribilità, die eines Michelangelos würdig ist“. Aber unbeeindruckt von der Tastenkunst des Japaners bleiben kann man auch nicht.
Online wie Offline erfolgreich
Ist er ein Janus-Kopf? Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Schlummern zwei Persönlichkeiten in seiner Brust, hier Cateen, dort Hayato Sumino? „Ja“, bestätigt er im Interview, „Hayato hat eine ernsthaftere, Cateen eine eher genussvolle, auch experimentelle Persönlichkeit. Die beiden sind aber nicht getrennt, sondern beeinflussen sich gegenseitig.“ Für Hayato Sumino waren die Monate und Jahre der Corona-Pandemie eine schwere, für Cateen eine goldene Zeit. Einerseits fand sein Klavierunterricht nur online statt, andererseits verschafften ihm seine Videos extrem viel Zulauf. „Ich mache Youtube seit mehr als zehn Jahren, aber besonders zu Beginn der Pandemiezeit habe ich mich auf die Erstellung von Youtube-Videos konzentriert, da alle Konzerte abgesagt wurden und wir alle daheimbleiben mussten. Viele Leute haben mich in dieser Zeit entdeckt, wahrscheinlich weil jeder mehr Zeit damit verbrachte, zuhause Youtube zu schauen.“ Ein Kommentar von vor drei Jahren bestätigt das und zeigt, was Cateen da Spezielles erreicht hat: „Die Entdeckung von Cateens Kanal war für mich das Highlight der Pandemie-Zeit.“
Youtube wurde dann doch etwas zu eng für den jungen Mann, der sich als Kind für Noten und Zahlen gleichermaßen begeistern konnte und der an der besten Universität Japans Mathematik und Informatik studierte – weil er glaubte, dafür mehr Talent zu haben. Youtube nennt er heute ein „wichtiges Werkzeug“, um „musikalische Experimente zu machen und mit Leuten in den Kommentaren zu interagieren.“ Jetzt aber konzentriere er sich „auf echte Auftritte, doch die sozialen Medien sind immer noch sehr wichtig.“
Ein typischer Japaner?
Im „echten Auftritt“ wie hier auf Schloss Johannisberg erlebt man einen Pianisten, der einen Raum in allen Dimensionen füllen kann. Cool und gleichzeitig kultiviert sein Auftreten, kontrolliert auch, zurückhaltend, charmant. Wenn er sein Publikum noch nicht mit Chopin packt oder mit seinen eigenen Kompositionen, dann doch mit den Offensiv-Klängen eines Friedrich Gulda oder Nikolai Kapustin. Und spätestens mit der eigenen Fassung des Boléro, der hier als derart schräg-bizarres Crescendo angelegt ist, wie es einen Maurice Ravel unbedingt begeistert hätte. Auch nach diesem kongenialen Klavier-Exzess lächelt Hayato Sumino noch sphinxhaft – ist das seine japanische Zurückgenommenheit? „Ich glaube nicht, dass ich ein typischer Japaner bin, und das ist einer der Gründe, warum ich aus Japan wegziehen und nach New York gehen wollte. Aber ich bin sicher, dass mein Stil und meine Persönlichkeit von der japanischen Kultur und Philosophie beeinflusst wurden.“ Sagt ganz reflektiert ein Pianist, der sich seiner Follower auch im echten Leben sicher sein kann.