Das kennt er schon: Hin und wieder wundern sich Beobachter über die große Diskrepanz zwischen der extrem energiegeladenen, mitunter aggressiven Körpersprache seiner Choreografien und der sehr ruhigen, fast introvertierten Persönlichkeit des Mannes, der sie kreiert. Einmal vor Publikum darauf angesprochen, antwortete Hofesh Shechter augenzwinkernd, dass auch „einige Serienkiller sehr stille Menschen“ waren.
Sein Humor passt perfekt zur britischen Wahlheimat. In London fühlte er sich – nach einem kurzen Intermezzo in Paris – sogleich zu Hause. 1975 in Jerusalem geboren, liegen Hofesh Shechters tänzerische Wurzeln im Schulfach „Volkstanz“. Der schüchterne Junge hasste es. Und doch sah er im wöchentlichen Unterricht eine Herausforderung, seine bisherige Wohlfühlzone zu verlassen. Die Lehrerin erkannte sein Talent und vermittelte ihn zur Jugendtanzgruppe der „Jerusalem Academy of Music and Dance“. Hier war er mit seiner Doppelbegabung genau richtig, er studierte Schlagzeug (Klavier spielte er ohnehin seit der Kindheit) und Tanz. Sein Weg führte ihn von dort zur renommierten Batsheva Dance Company nach Tel Aviv, wo er mit dem Künstlerischen Leiter Ohad Naharin, aber auch mit Wim Vandekeybus, Tero Saarinen und der israelischen Choreografin Inbal Pinto arbeitete.
Stellte sich ein folgenschweres Ultimatum: Hofesh Shechter
2002 lockte die englische Hauptstadt mit einem Job als Schlagzeuger der Band „The Human Beings“. Es folgte ein Engagement als Tänzer in der freien Szene, bevor er sich selbst ein Ultimatum stellte: Innerhalb eines Jahres wollte er Choreograf werden – egal, ob mit oder ohne Publikum. Auf seinen Erstling „Fragments“ 2003 folgte ein Jahr später „Cult“, das den Publikumspreis des zeitgenössischen Tanzzentrums „The Place“ gewann. Mit „Uprising“ entstand 2006 ein reines Männerstück, dem er 2009 das Pendant für Tänzerinnen unter dem Titel „The Art of Not Looking Back“ gegenüberstellte.
Die Karriere des charismatischen Künstlers nahm einen steilen Verlauf, wie der Aufstieg von „In Your Rooms“ beispielhaft zeigt: War das Stück zunächst in „The Place“ vor 300 Zuschauern zu sehen, wechselte es bald darauf in die Queen Elizabeth Hall im Southbank Centre mit 900 Sitzplätzen und zog schließlich ins Sadler‘s Wells Theatre mit einer Kapazität von 1 500 Plätzen – innerhalb weniger Monate. Mit diesem Werk gewann er nicht nur enormen Zuspruch von Publikum und Presse, sondern auch den „Critic’s Circle National Dance Award“ für die beste Choreografie 2008. Im selben Jahr gründete er die „Hofesh Shechter Company“.
Bewusst fehlt das Wort „Dance“ im Namen des Ensembles. „Meine Arbeit ist nicht nur Tanz. Wir haben einen Film gemacht, ich komponiere Musik“, erläutert er. Streitet der Choreograf Shechter manchmal mit dem Komponisten Shechter? „Sie nähren sich gegenseitig. Die Seele des Musikers neigt dazu, sentimental zu werden und manchmal die Schönheit genießen zu wollen, was für den Choreografen, der ich bin, eher gesund ist, weil es in seiner Arbeit nicht um Schönheit geht, sondern um andere Erfahrungen. Ich sehe es nicht als inneren Kampf, sondern als Dialog.“
„Schwanensee“ mit sarkastischem Unterton
Auch für sein aktuelles Stück entsteht Musik im Gespräch mit Tanz. Anlässlich der Uraufführung des „Swan Lakes“ überschriebenen Abends gestaltet Hofesh Shechter – neben Marie Chouinard, Marco Goecke und Cayetano Soto – seinen mit „Swan Cake“ betitelten Beitrag mit den Tänzern von „Gauthier Dance“ am Theaterhaus Stuttgart. Inspiriert von Tschaikowskys Ballettmusik, komponiert Shechter parallel zu den Proben völlig neue Klänge: „Ich nehme einige der Melodien und Harmonien und spiele mit ihnen. Es klingt eher nach jazziger Gypsy-Musik.“ Natürlich verändert er auch die Story von „Schwanensee“, die einen sarkastischen Unterton bekommt.
Der frisch gebackene „Swan Cake“ ist das erste von drei Werken, die während der kommenden Spielzeiten mit Shechter als Artist in Residence und Gauthier Dance entstehen. Sich an die Company von Eric Gauthier zu binden, schien ihm der nächste logische Schritt in ihrer Zusammenarbeit. Beide kennen und schätzen sich seit Jahren. „So werde ich Teil von ‚Gauthier Dance‘, und das macht mich sehr glücklich!“
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