Mit einer Lüge fing alles an. Damals in Salzburg, während des Studiums. Isabelle van Keulen studierte in einer Klasse mit dem berühmten Hagen-Quartett. Die vier planten gerade ein Konzert mit Tabea Zimmermann. Doch dann erkrankte die Musikerin überraschend, und dem Quartett fehlte plötzlich eine Bratsche. „Da habe ich einfach geblufft und erzählt, ich könne auch Bratsche spielen“, erinnert sich Isabelle van Keulen lachend.
Sie sitzt in einem Café in der Viersener Innenstadt, trinkt einen doppelten Espresso mit heißer Milch und erzählt gut gelaunt die abenteuerliche Geschichte, warum sie heute nicht nur eine Weltklasse-Geigerin ist, sondern nebenbei auch noch hervorragend Bratsche spielt.
Das Quartett fiel damals auf den Bluff herein. Und das, obwohl die Niederländerin seinerzeit weder eine eigene Bratsche besaß noch den entsprechenden Notenschlüssel lesen konnte. „Ich musste mir also schnell ein Instrument leihen und dann auch noch die Noten in den Violinschlüssel umschreiben“, erinnert sich die Geigerin. Das Konzert wurde ein voller Erfolg – und Isabelle van Keulen hatte eine neue Liebe gefunden.
Der böse Geist der strengen Geigenlehrerin
Seit damals hat es ihr die Bratsche angetan. Vor allem deshalb, weil das Instrument für sie eine bis dahin unbekannte Freiheit bedeutete: eine völlig neue Erfahrung. Ja, die Bratsche sei für sie ein gänzlich unbelastetes, ungezwungenes Instrument gewesen, erinnert sich die blonde Musikerin. Was wohl vor allem daran liege, dass sie nie Unterricht darauf gehabt habe. Eben diesen hatte sie aber auf der Violine erfahren – und das in sehr eindringlicher Art und Weise. „Ich hatte eine wirklich sehr strenge Geigenlehrerin“, erinnert sich van Keulen.
Ein Leben zwischen London, Hannover und Luzern
Noch heute kann sie deren Stimme hören, wie sie herummäkelt und kritisiert – noch einmal, von vorne, wiederholen, schneller, besser, präziser. Lange habe die Lehrerin wie ein böser Geist auf ihrer Schulter gesessen – selbst dann noch, als sie schon eine gefeierte Geigerin war. Es hat gedauert, bis sie diesen bösen Geist wieder losgeworden ist. Doch mit der Freude an der Bratsche hat sie sich peu à peu auch die Freude an der Geige zurückerobert. Zurückerspielt.
Über ihre Art zu spielen sagt die Musikerin selbst, sie sei stets nah am Text. Und ihr Spiel sei farbenreich. „Farbe ist in der Musik sehr wichtig“, erklärt die zweifache Mutter, die hin und her pendelt zwischen London, wo ihre Kinder leben, und Hannover, wo ihr Lebensgefährte sein Zuhause hat. Seit einigen Jahren unterrichtet van Keulen zudem an der Musikhochschule in Luzern. Um möglichst zeitsparend dorthin zu gelangen, hat van Keulen eine neue Reisemethode für sich entdeckt: den Nachtzug. Nach einem Konzert zum Beispiel in Düsseldorf steigt sie ein, fährt die Nacht durch und kann am nächsten Tag morgens mit dem Unterricht beginnen.
Töne wie Farben
In diesen Stunden sucht die Tochter eines Malers dann gerne den Vergleich mit der Malerei. Wie spielt man die Farbe Rot oder die Farbe Blau? „Wir haben alle eine andere Vorstellung davon“, sagt die Künstlerin. Für sie selbst habe zum Beispiel der Ton h die Farbe Rot. Ein e sei gelb. Ein Ton mit einem b davor bekäme bei ihr die Farbe Grün verpasst – „ich mag kein Grün“, sagt van Keulen und lacht.
Isabelle van Keulen ist anders als andere Klassik-Stars. Man sieht sie nicht mit wildromantisch-verträumtem Blick und wallendem, langem Haar. Ihre CD-Covers sind nüchtern, streng und puristisch, oft in der Farbe Schwarz gehalten. Ganz wie es der sportbegeisterten Musikerin gefällt. Sie hat ihren Weg gefunden, hat ausprobiert und experimentiert, Fehler gemacht und daraus gelernt. Und die Dinge, die ihr nicht gefielen, habe sie „eliminiert“. Das sei bisher immer ihr Weg gewesen. Ein ebenso eigener wie erfolgreicher Weg.