Kroatien an der Adria: das Land der 1.000 Inseln und Mythen – und doch nur so groß wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zusammen. Odysseus soll auf einer der Inseln gelebt haben, Marco Polo wurde auf einem anderen Eiland geboren. Zeitweise dienten die mittelalterlichen Festungen, Burgen und Tempel als Kulissen für die berühmte Fantasy-Serie Game of Thrones. Hier, genauer gesagt in der Hafenstadt Zadar, verbrachte Ivan Repušić seine Kindheit. 1978 geboren, wuchs der Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters im Bewusstsein einer spannenden 3.000-jährigen Geschichte voller Kriege und Eroberungen auf. Doch als Kind interessierten ihn eher die Chorklänge eines fernen protestantischen Komponisten aus Mitteldeutschland: „Johann Sebastian Bach“, erzählte Repušić in einem Interview, „ist das Alpha und das Omega für alle nachfolgenden Komponisten, er ist ein eigenes Universum. Ich liebe seine Choräle und spiele sie immer wieder gerne am Klavier, wenn ich allein bin und Inspiration brauche.“
Von früh an war klar, dass er Musiker werden würde, in der örtlichen Musikschule lernte er Klavier und Musiktheorie, mit zwölf Jahren übernahm er die Leitung eines Kirchenchores. An der Musikakademie in Zagreb setzte er die Ausbildung fort, es folgten Assistenzen am Badischen Staatstheater Karlsruhe bei Kazushi Ono und an der Deutschen Oper Berlin bei Donald Runnicles. Zugleich wurde Ivan Repušić zum Operndirektor am kroatischen Nationaltheater in Split ernannt. Er leitete die Sommerfestivals in Split und Dubrovnik, unterrichtete an der Akademie der Schönen Künste der Universität in Split. 2010 wurde er Erster Kapellmeister an der Staatsoper Hannover, später deren Generalmusikdirektor. 2017 übernahm er das Amt des Chefdirigenten des Münchner Rundfunkorchesters und verlängerte im Juli seinen Vertrag bis zum Sommer 2023. Die Beziehung zu seiner kroatischen Heimat aber hat er bis heute nicht verloren.
Nicht zuletzt für die rund 70.000 Einwohner mit kroatischen Wurzeln in München setzte Repušić 2019 Jakov Gotovacs komische Oper „Ero der Schelm“ auf den Spielplan. Für die Handlung, die in einem dalmatinischen Dorf spielt, wählte er gleich eine kroatische Besetzung. Schließlich muss man wissen, was man singt, zumal Teile der Musik, insbesondere der berühmte Tanz am Ende der Oper, vielen Kroaten wohlbekannt sind.
Dirigent und Orchester müssen eine Einheit sein
Seine Arbeit mit einem Orchester beschreibt Repušić so: „Ich nehme auf, was das Orchester mir anbietet, und umgekehrt.“ Natürlich müsse man als Dirigent auch ein Gefühl für die Struktur haben und sich stilistisch in der Musikgeschichte auskennen. Aber am Ende zählt eben vor allem das emotionale Moment, das nur dann zum Tragen kommen kann, wenn Dirigent und Orchester eine Einheit sind. Dirigenten, sagt er, sollten souverän wirken, alles „mit Gesten zeigen und wenig sprechen“. Und genügend Fantasie haben für die Bilder, mit denen sie ihre Klangvorstellung beschreiben können. Ein großes Vorbild sei ihm Carlos Kleiber: „Er macht Musik so, wie ich sie empfinde: sehr frei, sehr inspiriert, sehr klar.“
Er beschreibt sich als einen vorsichtigen Menschen, möchte sich nicht übernehmen, auch nicht im Hinblick auf das Repertoire, auch wenn er immerhin dreizehn Opern von Giuseppe Verdi dazuzählen kann. Wer hinsichtlich des Repertoires mehr in die Tiefe als in die Breite geht, entkommt in seinen Augen auch der für Künstler so gefährlichen Routine. Eine sympathische, bodenständige Haltung in Zeiten, in der so viele Menschen Angst haben, sie könnten etwas verpassen.