„Der Elefant ist ein gefährliches Tier, denn aus seinen Stoßzähnen werden Klaviertasten gemacht.“ Das befand Johannes Brahms, der mit seinen eigenen Kompositionen reichlich Notenmaterial lieferte, um das Instrument so richtig zu entfesseln. Heute wäre er 185 Jahre alt geworden, und sein Werk bietet immer noch Anlass, ihm jeden Tag neu zu begegnen.
Bei der Beschäftigung mit seinen Werken und persönlichen Dokumenten tritt er uns immer wieder als qualvoll Ringender entgegen. In einem Brief an Hermann Levi schrieb er etwa: „Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen (gem. Ludwig van Beethoven) hinter sich marschieren hört.“ Tatsächlich fällt bei einem Blick in sein Vermächtnis auf, wie lange er an seiner ersten Sinfonie gearbeitet hat. Sie ist nach einer Entstehungszeit von 14 Jahren als op. 68 erschienen, steht also etwa in der Mitte seines 122 Nummern umfassenden Werkverzeichnisses.
Johannes Brahms – Romantiker und Formalist
Ähnlich schwer hat er sich mit der Gattung des Streichquartetts getan und zwanzig begonnene Kompositionen vernichtet, bevor er dann gleich zwei Werke der Gattung veröffentlichte. Dieser hohe Selbstanspruch und seine Entscheidung Frühwerke und Arbeitsskizzen weitestgehend zu vernichten sind die Ursachen dafür, dass das Gesamtwerk heute so dasteht als sei es in Stein gemeißelt.
Nach seiner frühen romantisch-expressiven Phase rückte er in klassischer Tradition die formale Anlage stärker in den Vordergrund. Dass er dabei auch Neuland erschloss, wurde deutlich später von Arnold Schönberg erkannt, der das Verfahren der „entwickelnden Variation“ aufzeigte und im eigenen Schaffen aufgriff. Letztlich ist anhand dieser Linie nachvollziehbar, dass Brahms der seriellen Musik den Weg bereitet hat. Für die traditionelle Variation leistete er indessen ebenfalls viel und schrieb nicht nur das Vermächtnis von Bach und Beethoven fort, die als Meister der Gattung gelten. Indem er über ein Thema von Robert Schumann, von Georg Friedrich Händel oder Joseph Haydn Variationen schrieb, spannte er im Schaffen ein Netz der Bezüge und Würdigungen und schaffte es doch sich in den Bearbeitungen als eigenständiger Künstler zu zeigen.
Bewahrer und Wegbereiter
In die Geschichte ist Brahms als radikal moderner Traditionalist eingegangen. Beispielsweise in seiner vierten Sinfonie griff er auf die jahrhundertealten Kirchentonarten zurück. Dass seine Werke musikgeschichtlich durchatmet und dicht gearbeitet sind, macht den Zugang zu ihnen aber manchmal etwas sperrig. So äußerte selbst Eduard Hanslick über das eröffnende Allegro der vierten Sinfonie: „Den ganzen Satz über hatte ich die Empfindung, als ob ich von zwei schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt würde.“
Der Mensch Johannes Brahms wird indessen über zahlreiche überlieferte Anekdoten greifbar. So äußerte der Auszeichnungen und Würdigungen zugetane Wahl-Wiener einmal: „Orden sind mir wurscht, aber haben will ich sie.“ Bei anderer Gelegenheit hieß es aber: „Wenn mir eine hübsche Melodie einfällt, ist mir das lieber als ein Leopoldsorden.“ Eine Prioritätensetzung, die alle Brahmsianer zu schätzen wissen.
Eine Einspielung der 4. Sinfonie durch das hr-Sinfonierochester unter Andrés Orozco-Estrada: