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Porträt Anja Harteros

Stimmige Verführung

Maß halten ist ihre oberste Devise – dafür verzichtet Anja Harteros auch gern auf das große Geld. Lieber pflegt die Sopranistin ihren ganz eigenen Stil

vonChristoph Forsthoff,

Es geht also doch anders. Kein exklusiver Plattenvertrag, keine exzessive Hochglanz-Vermarktung, keine Open Airs für extrem hohe Gagen, kein eng gefüllter Terminkalender, kein Medienschaulaufen mit Partner und Privatleben, ja noch nicht einmal eine eigene Website – und doch ist Anja Harteros ein Star. Ein öffentlichkeitsscheuer Star, der indes künstlerisch locker PR-gehypte Kolleginnen in den Schatten singt und spielt wie jüngst Jonas Kaufmann bei der Neuinszenierung von Verdis Macht des Schicksals an der Bayerischen Staatsoper. Eine Sängerin, die ob ihres charakteristischen Timbres über den gesamten Umfang ihrer Stimme nicht nur vielen Kritikern als die vielleicht überwältigendste unter den großen Sopranistinnen unserer Zeit gilt und in einem Atemzug mit Gesangslegenden wie Leontyne Price oder Julia Varady genannt wird.

Eine Mischung aus Julia Roberts und Cecilia Bartoli

Und die doch trotz aller Jubelhymnen bodenständig, ja selbstkritisch geblieben ist. „Vielleicht ist es meine große Stärke, dass ich fleißig bin und den Anspruch habe, aus dem, was mir gegeben ist, so viel wie möglich zu machen“, meint die Sängerin nachdenklich im concerti-Interview – „und dass ich es trotzdem akzeptiere, wenn ich mal einen schlechten Tag habe und es nicht so gut klappt.“ Was indes kaum vorstellbar ist, ist doch die im oberbergischen Bergneustadt aufgewachsene Tochter eines griechischen Vaters und einer deutschen Mutter sogar für eine Sängerin unglaublich selbstdiszipliniert: Mehr als 40 Vorstellungen kommen der Frau mit der dunklen Lockenpracht nicht in den Terminkalender – sie braucht ihre Ruhe- und Rückzugsphasen, wo der Star einfach „ein normaler Mensch sein darf“; so wie die Künstlerin auch ihre Zeit für die Vorbereitung braucht, setzt sich Anja Harteros doch mit jeder ihrer Rollen intensiv auseinander, studiert vorab literarische Vorlagen und die Historie der Werke, um die Elsas und Elisabettas der Opernwelt wirklich zu durchdringen und mit Leben zu erfüllen. „Es hilft sehr, wenn man spielen kann, auch für die musikalische Gestaltung.“

Dass die selbstbewusste Rheinländerin vielleicht gerade deshalb keineswegs gewillt ist, jeden vermeintlich außergewöhnlichen Regie-Streich mitzumachen, hat zuletzt in München erst wieder Martin Kusej erfahren müssen: Im Swimmingpool sollte da seine Leonora eine Sektentaufe über sich ergehen lassen – nicht mit Anja Harteros. Statt ihrer durfte sich ein Double nass machen lassen, anschließend kehrte die Sängerin wieder auf die Bühne zurück. Nacktszenen oder Extremexperimente seien ihre Sache nicht, hat sie im Interview klargestellt. Die Zuschauer wollten solche Szenen ohnehin nicht sehen und die Sänger sie nicht machen: „Mich stört, wenn Oper verkleinert wird.“

Was nicht nur für die Bühne gilt, sondern auch für ihr eigenes Leben: Ganze vier Jahre hielt es die junge Sopranistin seinerzeit im Festengagement in Bonn und Gelsenkirchen aus  – dann wagte sie nach dem Gewinn des „Singer of the World“-Wettbewerbs 1999 in Cardiff (Barbara Bonney bejubelte die Siegerin damals schon als Mischung aus Julia Roberts und Cecilia Bartoli) den Absprung in die Selbständigkeit. Fremdbestimmt zu sein und Rollen singen zu müssen, die so gar nicht zu ihr passen: Nein, das wollte die Sängerin auf Dauer nicht. „Ich will mein Leben nicht in andere Hände geben.“ Nun sagt sie selbst an, was ihr passt – und was nicht. Belcanto-Rollen etwa: Zu groß sei der Aufwand für diesen speziellen Stil. Starallüren? Nein, lediglich eine klare Haltung. Anja Harteros pflegt eben lieber ihren eigenen Stil.

Album Cover für
Verdi: Requiem Anja Harteros, Elīna Garanča, Jonas Kaufmann, René Pape, Coro & Orches­tra del Teatro alla Scala di Milano, Daniel Barenboim. Decca

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