Pavarottis obertonsatt mühelos flutendes hohes C soll die ihm lauschenden Damen immer wieder nahe an die sexuelle Erfüllung gebracht haben, und das Lächeln von Schwergewicht „Big P“ wirkte wie die weltumarmende ganz große Freude. Seine Paraderolle: Puccinis Poet Rodolfo. Domingos schon immer eigentlich in baritonalem Bronzeton schimmerndes Tenortimbre ist von purem Charisma, sein Erscheinen auf einer Opernbühne degradiert eigentlich jeden anderen Sänger zum Statisten. Seine musikalische Intelligenz und seine Persönlichkeit machen ihn zum idealen Darsteller vielschichtiger Helden. Seine Paraderolle: der komplexbeladene Mohr von Venedig namens Otello in Verdis gleichnamigem spätem Meisterwerk. Und Carreras?
Seinen Rückzug hat José Carreras schon lang vollzogen
Nachdem Luciano Pavarotti längst im Sängerhimmel den Engelein Canzonen trällert und Plácido Domingo als tiefergelegter Tenor die Baritonväter der von ihm einst gesungenen jugendlichen Liebhaber mimt, kündigt der Dritte im Bunde der legendären „Drei Tenöre“ erneut seinen nunmehr finalen Rückzug von den Opernbühnen an – kurz vor seinem 70. Geburtstag. Den Rückzug hat José Carreras strenggenommen freilich schon lang vollzogen. Denn die vollständigen kräftezehrenden, weil die hohe Tessitura fordernden Partien der Klassiker von Puccini oder Verdi kann der Startenor schon seit Jahren nicht mehr stemmen. Geschickt hat er sich zunächst Randrepertoire aus Verdis Feder angeeignet, so bereits 1995 an der Wiener Staatsoper Verdis Kreuzzugsoper Jérusalem, in der niemand unbedingt die in bekannten Titeln sonst sehnsüchtig erwarteten Spitzentöne von ihm hören wollte. 2002 gab er in Tokio die Titelpartie der Oper Sly von Ermanno Wolf-Ferrari.
Auf Plakaten steht bis heute sein falscher Vorname
Zuletzt sorgte er 2014 mit der eigens für ihn geschriebenen und mit ihm aus der Taufe gehobenen Oper El Juez des österreichischen Komponisten Christian Kolonovits für Aufhorchen. Das Werk ruft das Schicksal jener gestohlenen Kinder in Erinnerung, die während der spanischen Franco-Diktatur ihren nicht linientreuen Familien entrissen wurden, um hernach nach den Regeln des Regimes umerzogen zu werden. Dazu wurden sogar ihre Namen geändert. Carreras kennt deren Geschichte als Katalane nur zu gut, verbot Franco doch den Gebrauch der katalanischen Sprache: Der Sänger musste seinen Vornamen deshalb seinerseits in José ändern. Heute steht in seinem Pass längst wieder „Josep“ – der mit ihm befreundete Fußballtrainer Josep Guardiola hatte das Problem, mit der Gnade der späten Geburt gesegnet, nie, und lässt sich deshalb mit der coolen Kurzform „Pep“ rufen. Da „José Carreras“ aber von Tirol bis Tokio ein markantes Markenzeichen darstellt, steht auf Plakaten bis heute sein falscher Vorname. Nur in seiner Heimat ist Carreras der echte Josep, als den ihn seine Eltern tauften und auf den schon sein Vater hörte.
Eines von „Karajans Kindern“
Wofür steht nun der auf so hoch sympathische Art aristokratisch wirkende Sänger, der seine Bodenhaftung als extrem euphorischer Fan seines Heimatclubs Barça, alias FC Barcelona beweist? Man muss dazu zurückblicken auf die Zeit vor seiner lebensbedrohlichen Leukämieerkrankung, nach deren glücklicher Heilung er stimmlich nie mehr ganz an die Glanzzeiten seiner Jugend anknüpfen konnte. Carreras gehört zu den jüngsten Vertretern jener Sängergeneration, die man Karajans Kinder nennen darf. Der einstige Megamaestro scharte für seine bei den Salzburger Festspielen zelebrierten und gern parallel auf Tonträger verewigten Opern in Traumbesetzung die damalige jugendliche Weltelite um sich, zu der neben den Drei Tenören der wandelnde Mezzo-Eros Agnes Baltsa, die lyrischen Sopranzauberinnen Anna Tomowa-Sintow aus Bulgarien sowie Mirella Freni aus Italien und natürlich die gigantischen Bass-Baritone José van Dam und Samuel Ramey gehörten. Carreras war im Zusammenwirken mit diesen Kollegen ein gleichsam idealer Don Carlo in Verdis Schilleroper – ein schwärmerischer, ein introvertierter, ein fürwahr edler Infant, der sich tragisch in die neue Gattin seines Vaters verliebt. Wehmütig nachlauschen kann man dem jungen Carreras auf Platte und CD – oder doch gespannt seine weltweite Abschiedstournee verfolgen, in dem der große Sänger mit nachgedunkelter Luxusstimme noch viel ahnen lässt von den alten Zeiten großer Sängerpersönlichkeiten, als die Oper noch nicht Musiktheater hieß.
CD-Tipps:
Verdi: Don Carlo
José Carreras, Beliner Philharmoniker, Herbert von Karajan (Leitung)
Warner Classics
José Carreras – The Legendary Tenor
José Carreras, English Chamber Orchestra, New Philharmonia Orchestra u.a.
Warner Classics
José Carreras – A life in music
Werke von Massenet, Mozart, Puccini u.a.
José Carreras, London SO u.a.
Sony Classical
José Carreras – The 50 Greatest Tracks
José Carreras, Royal Philharmonic Orchestra, English Chamber Orchestra u.a.
Decca