Am Tag vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September wurde in der Literaturwerkstatt an der Kulturbrauerei singend geschimpft: über Hundekot und Staatsverschuldung, über alltägliche Ärgernisse und politische Missstände. Kern des „Beschwerdechors“ waren aktivisten des Jungen Ensembles einschließlich ihres Chorleiters Frank Markowitsch, der den musikalischen Meckerern half, im wahrsten Sinne des Wortes ihre Stimme zu erheben.
Gesellschaftliches Engagement ist ein Markenzeichen des Chors des Jungen Ensembles, der bereits 1958 unter dem Namen „Neue Chorgemeinschaft Berlin“ gegründet wurde. Im Laufe der Zeit hat sich daraus ein vielseitiger Jugendmusikverein entwickelt, zu dem auch ein Sinfonie- und ein Blasorchester gehören. Frank Markowitsch übernahm den Chor 1998 noch als Student. Damals zählte man etwa 25 Sänger – heute sind es über 80.
Pro Jahr werden mindestens drei Programme einstudiert. Der Projektcharakter gestattet es den Sängern, phasenweise ein- und auszusteigen. Denn die Altersspanne zwischen 18 und 38 Jahren begründet auch eine gewisse Fluktuation. Andererseits ist der Zulauf dank der Mundpropaganda so gewaltig, dass mit jedem neuen Vorhaben 20 bis 30 Leute vorsingen wollen.
Conny Burda ist seit Ende 2009 im „JEB“, wie die Mitglieder ihre musikalische Heimat liebevoll abkürzen. Die Kulturwissenschaftsstudentin bezeichnet den Kreis dennoch als „recht konstant, da es einen großen Stamm von Leuten gibt, die acht bis neun Jahre dabei sind.“ Sie ist begeistert vom Zusammengehörigkeitsgefühl, das mit einem hohen inhaltlichen Anspruch verbunden sei. Das Gleichgewicht zwischen Ambition und Spaß sieht sie auch durch die Führung gegeben: „Frank Markowitsch hat eine unglaubliche Intensität im Kontakt zu uns. Er erwartet Leistung, aber zugleich sieht er die Gemeinschaft. Er schafft diese Balance zwischen Autorität und Partnerschaft.“ Auch für ihn, der sonst mit Berufssängern arbeitet, ist sein Laienchor eine „zweite Familie. Bei Profiensembles ist man Gast, aber beim JEB ist es ein total vertrauensvolles Verhältnis, das ist wie Nach-Hause-Kommen.“
Der Chor probt einmal wöchentlich sowie je Projekt an mindestens zwei Wochenenden, wobei eines in Berlin, das andere auswärts stattfindet. Das Einstudieren von neuem Repertoire beginnt meist mit einem Kick-off, bei dem der emeritierte TU-Althistoriker Werner Dahlheim in das jeweilige Werk einführt. Denn zur Philosophie des JEB gehört, so Conny Burda, „dass man genau weiß, was man singt.“
Immer wieder stehen Gemeinschaftsprojekte auf dem Plan, zuletzt Mahlers zweite Sinfonie mit dem Sinfonie Orchester Schöneberg und das Educationprojekt „Images of Light“, bei dem Schüler der Otto-Hahn-Schule Neukölln an der Uraufführung einer zeitgenössischen Komposition mitwirkten und multikulturelle Aspekte einbrachten. Die Bandbreite der vokalen Gattungen, die sich der Chor erschließt, reicht von Operninszenierungen über Chorsinfonik bis zum breiten a-cappella-Spektrum. „Moderne Sachen machen wir weniger, das ist mit einem großen Chor schwieriger“, resümiert Markowitsch. Trotz der geballten Masse auf der Bühne besticht der Chor des Jungen Ensembles Berlin durch Homogenität, Leichtigkeit und Transparenz. 2009 wurde diese Qualität nicht nur durch eine Förderung von der Berliner Kulturverwaltung gewürdigt, sondern auch beim Landeschorwettbewerb mit dem ersten Preis belohnt.