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Porträt Kammeroper Frankfurt Sommer 2018

Eine Commedia della morte unterm Frankfurter Sommerhimmel

Die Kammeroper Frankfurt bringt diesen Sommer den „Bajazzo“ von Ruggero Leoncavallo und „L’impresario delle Canarie“ von Domenico Sarro auf die Freiluftbühne des Palmengartens

vonStefan Schickhaus,

In der Regel bekommt man das eine nicht ohne das andere: So wie Stan nie ohne Olli, oder – um ein wenig näher an der Materie zu bleiben – wie das Schumann-Klavierkonzert auf einer Langspielplatte nie ohne das Pendant von Grieg auf der B-Seite auskam, so wird Ruggero Leoncavallos „Der Bajazzo“ kaum einmal ohne die „Cavallaria rusticana“ von Pietro Mascagni auf die Bühne gebracht. Aber mit Regeln (oder schlimmer noch: Konventionen) hat es die Kammeroper Frankfurt ohnehin nicht. Und darum muss es nicht wundern, wenn diese private Operntruppe für ihre diesjährige Sommerproduktion den „Bajazzo“ verbrüdern wird mit einem weitestgehend unbekannten Impresario von den Kanaren.

„L’impresario delle Canarie“ heißt ein Intermezzo des Neapolitaners Domenico Sarro aus dem Jahr 1724, ein überraschend altes Stück für Frankfurter Kammeropern-Verhältnisse. Denn die hat, nach etlichen Jahren im Dienste von Donizetti und Co., in letzter Zeit eher großformatig gedacht, mit Verdi von „Maskenball“ bis „Macbeth“, mit „Don Giovanni“ und „Carmen“. Wobei Alter und Ansehen, Tiefe und Größe einer Oper nie über das entscheiden, was es letztlich zu sehen gibt auf der Freiluftbühne des Frankfurter Palmengartens. Das ist immer verlässlich bunt bis knallig, offensiv und turbulent und gern frivol, die Handschrift der Ausstattung bewegt sich zwischen den Eckpunkten Leder, Latex, Peitsche, Haut.

Kammeroper Frankfurt: Seit Jahrzehnten ein stabiles Team

Wobei, halt: „Keine Peitschen, aber bizarr realistisch“, so werde das Bajazzo-Impresario-Doppel werden, hat Rainer Pudenz angekündigt. Pudenz ist selbst so etwas wie ein Impresario, doch nicht auf den Kanarischen Inseln, sondern in der Bankenmetropole, die ja über ein herausragendes städtisches Opernhaus verfügt. Die Kammeroper, die Pudenz 1982 mit Gleichgesinnten gegründet hat, ist da der subversive Quergeist zwischen hoher Kunst und hohen Türmen. Der jeden Klassiker in die Nähe der Farce zu rücken versteht, handgemacht, aber professionell.

Rainer Pudenz
Rainer Pudenz © Martin Grothmaak

Das Team ist dabei erstaunlich stabil: Margarete Berghoff entwirft seit Jahrzehnten die unorthodoxen Kostüme, die Brüder Frank und Dirk Keller kümmern sich um Licht und Technik, die Bühnenbilder steuert immer wieder der spanische Maler Mateo Vilagrasa bei. Auch das Sängerensemble zeigt Konstanten, am eindrucksvollsten in Person von Ingrid El Sigai: Diese Kammeropern-Allzweckwaffe ist nicht nur Radio-Moderatorin, Nachrichtensprecherin, Lottofee und Navi-Stimme, sondern auch ein virtuos-exaltierte Sopranistin.

„Ihm ist alles egal, er will nur die Sängerin als Frau haben“

Der „weltberühmte veristische Reißer“ (Pudenz) von Ruggiero Leoncavallo, der „das legendärste ’schmerzliche Lachen‘ der Opernliteratur enthält“ und die „Barockperle um einen zwielichtigen singenden Intendanten, der versucht mit dem Motto ‚Singen sie schön, der Rest ist egal‘ eine Sängerin zu verführen“: Die Kombination sei schon sehr ungewöhnlich, gibt Rainer Pudenz zu. Aber es passe vorzüglich: Beides sei ein „Spiel im Spiel“, wobei Leoncavallo im „Bajazzo“ die traditionelle Commedia-Form seiner Oper sprenge, indem er das Spiel im Spiel auf ein böses Ende zusteuern lässt. „Vor den Augen eines entsetzten Publikums schlägt die Commedia dell’arte um in die Commedia della morte.“

Beide Opern werden im gleichen Bühnenraum gespielt, einem italienischen Café, dort eskalieren klassische Alltagssituationen. Ob Tonio aus dem „Bajazzo“ oder der – übrigens mit dem gleichen Sänger besetzte – Impresario bei Sarro: „lauter tragische Figuren, sehr zeitlose Existenzen“, so beschreibt sie Rainer Pudenz. Der sich und sein Kammeropern-Projekt in manchen Momenten wiederfindet in dieser Produktion, wie er sagt, denn: „Ein Fokus liegt auch auf der Welt des freien Theaters da wird viel Wesen und Charakter offenbart.“ Lachen unter Schmerzen, welcher Protagonist der off-Theater-Szene kennt das nicht. Wobei: Mit dem verführerischen Impresario auf den Kanaren will der Impresario aus Frankfurt nichts gemein haben. „Ihm ist alles egal, er will nur die Sängerin als Frau haben“, so Rainer Pudenz – „da sich rein zu denken fällt mir schwer.“

Eine Aufführung der Kammeroper Frankfurt mit „Die Winterreise“:

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Mehr Informationen

concerti-Tipp:

Kammeroper Frankfurt
Leoncavallo: Der Bajazzo / Sarro: Der Impresario von den Kanaren
21. (Premiere), 27., 28. & 29.7., 1., 3., 4., 8., 10., 11., 12., 15., 17. & 18.8.2018
jeweils 19:30 Uhr
Palmengarten Frankfurt

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