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Porträt Katharina Bäuml

Wiederentdeckung einer Urgroßmutter

Die Oboistin Katharina Bäuml ist mit ihrer „Capella de la Torre“ das Residenzensemble beim Heinrich Schütz Musikfest.

vonChristian Schmidt,

Wie das trötende Instrument, das man landläufig auf Feuerfesten und in Fußballstadien „Schalmei“ nennt, seinen Namen bekam, ist heute nicht mehr ganz nachzuvollziehen. Denn eigentlich handelt es sich dabei um die „Martinstrompete“, ein recht einfach gestricktes Signalhörnchen mit ebenso schepperndem wie ohrenbetäubendem Klang. „So ein Ding hat Erich Honecker dereinst Udo Lindenberg geschenkt – im Tausch gegen eine Lederjacke“, sagt Katharina Bäuml mit einem nicht zu übersehenden Augenzwinkern.

Die Oboistin müht sich seit vielen Jahren um die Rehabilitation der ursprünglichen Schalmei – der „Urgroßmutter der heutigen Oboe“. Bei den Spielleuten, den Türmern und Stadtpfeifern, also auch den städtischen Blaskapellen der Frühzeit, war sie eines der wichtigsten Instrumente – zusammen mit Dulzianen, Pommern, Krummhörnern, Flöten und verschiedenen Blasinstrumenten aus Metall. Gemeinsam haben die meisten dieser Urahnen des heutigen Instrumentariums, dass sie aus unterschiedlichsten Gründen aus der Mode kamen oder von neuen Technologien überholt wurden.

Katharina Bäuml pflegt mit ihrem Spezialensemble „Capella de la Torre“, wörtlich übersetzt „Turmkapelle“, seit mittlerweile sechzehn Jahren die alten Traditionen, wagt sich aber auch in die Neuzeit und gibt sogar zeitgenössische Kompositionen für die alten Instrumente in Auftrag. „Die Schalmei ist ein vollständig eigenständiges Instrument, das Dinge tun kann, die eine Oboe eben nicht kann – zum Beispiel große Glissandi spielen –, und trotzdem ein wenig in Vergessenheit geraten ist“, sagt Bäuml.

Mit Auszeichnung: Katharina Bäuml

Die 46-Jährige studierte zunächst klassische Oboe mit Auszeichnung und kam über Bachs Musik zuerst zur Barockoboe. Nach weiterführenden Studien an der auf Alte Musik spezialisierten Schola Cantorum in Basel entdeckte sie für sich die Renaissance-Instrumente und kam so zur Schalmei. „Dabei ist auch heute noch teilweise von Oboe-Lehrern im Unterricht zu hören, die Schüler mögen doch bitte einen schöneren Ton finden, das klinge sonst wie eine Schalmei“, sagt Katharina Bäuml, wobei sie nicht ganz ihren leichten Verdruss verbergen kann. Denn der zweifelhafte Ruf beruhe noch immer auf dem Vorurteil eines eher rustikalen Hirteninstruments. „Unser Anspruch ist aber: Wir spielen in der ersten Liga wie ein Oboist der Berliner Philharmoniker.“

Dass das geht, beweisen nicht nur zahlreiche CD-Aufnahmen, sondern auch drei ECHO-Klassik-Auszeichnungen. „Man muss sich schon wirklich reinfallen lassen, um diese Musik gut zu machen, das ist wie in ein Meer zu springen und neu schwimmen zu lernen.“ Dabei sind insbesondere die alten Partituren aus der frühen Neuzeit und Renaissance Fluch und Segen zugleich, weil in den seltensten Fällen darauf verzeichnet ist, für wen die jeweilige Stimme gedacht war, denn oft spielten die Blasinstrumente colla parte mit den Sängern mit. Auch dynamische oder artikulatorische Eintragungen fehlen vollständig.

„Mir geht es immer um das kammermusikalische Gefühl“

„Sich die Quellen zu erschließen, macht daher viel Arbeit“, bekennt die Schalmeiistin, „aber das ist wie eine Reise: einmal angefangen, will man immer weiter“. Um die Musik verstehen zu können, komme man gar nicht drum herum, sich auch genauer den Text anzusehen und aus der Partitur zu spielen, um die Phrasierung von Bläsern und Sänger einander anpassen zu können. „Wenn man flexibel und dynamisch variabel ist, mischen sich durch den Obertonreichtum tolle Klänge“, schwärmt Bäuml. „Mir geht es immer um das kammermusikalische Gefühl, den gemeinsamen Puls zu finden.“

Dabei hält Katharina Bäuml gern Abstand zur „Alte-Musik-Polizei“, wie sie jene Dogmatiker nennt, die von sich glauben, genau zu wissen, wie die Musik klang. „So viel forschen wie möglich, so viel Freiheit wie möglich – ich will kein Museum sein, sondern die Leute von heute ansprechen. Am tollsten ist, wenn jemand nach dem Konzert zu mir kommt und gar nicht mitbekommen hat, dass es Alte Musik war, es hat ihm einfach nur gefallen.“

Katharina Bäuml
Portraitaufnahmen, Capella de la torre, Anna-Kristina Bauer

Daher legt die Ensemblechefin, die nebenher auch noch mehrere eigene Festivals leitet, viel Wert auf klanglichen und stilistischen Abwechslungsreichtum. Oft mixt sie bei ihren Konzerten auch kontemporäre Stücke in ihre Programme. Als Residenzensemble beim in Kürze beginnenden Heinrich Schütz Musikfest gibt das Ensemble de la Torre drei ganz unterschiedliche Programme: Zum 450. Geburtstag von Michael Praetorius eines mit vielstimmiger Vokalmusik, eines mit Tanzmusik zusammen mit Profitänzern nach historischen Choreografien; das dritte vereint Kompositionen von Claudio Monteverdi und Heinrich Schütz, der selbst aus der Stadtpfeifertradition kam.

„Ich freue mich sehr auf diese Konzerte an authentischen Orten vor enthusiastischem Publikum, das nach meiner Wahrnehmung aber leider nur sehr zögerlich zu den Veranstaltern zurückkehrt“, sagt Bäuml, die sich selbst diesbezüglich eher als Pessimistin beschreiben würde. „Nach der Pandemie erlebe ich beides: Leute mit Glückstränen in den Augen und andererseits Leute in Angst.“ Vielleicht greife jetzt auch so etwas wie ein Entwöhnungseffekt. „Darüber denke ich ganz viel nach, denn wir sind mit unserem Musikbetrieb jetzt an einem Wendepunkt. Er gibt Anlass zu Sorge und Hoffnung gleichermaßen.“

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