Zwei Mal im Jahr ist Saison für das Projekt „Kinder tanzen für Kinder“ an der Deutschen Oper. Zur Weihnachtszeit und im Frühjahr verwandeln sich rund 60 kleine Ballerinas und einige Jungs in eine Schar von Mäuschen und Schwänen, in geheimnisvolle Herren und große Damen, Feen und Prinzessinnen. Die Choreographien mit witzigen Details und in professionellem Rahmen von Licht und Ausstattung stammen von der Gründerin und Leiterin Felicitas Binder. Zusammen mit vier Assistentinnen macht sie die Kinder im Alter von sechs bis 18 Jahren in Technik und Ausdruck fit für die Bühne. Hier werden aber keine zukünftigen Berufstänzerinnen gedrillt, sondern Ballett und Theater als wesentlicher Teil des Lebens vermittelt.
Wie die Profis bedienen sich die Kinder mit großer Selbstverständlichkeit nicht nur der französischen Fachbegriffe, sondern auch der Rollennamen, Figuren und Handlungselemente ihres Repertoires. So ist klar, wer es schon mal vom Mäuschen im „Nussknacker“ zum „Partykind“ geschafft hat, gehört nicht mehr zu den Anfängern. Von dort führt der Weg aufwärts zu Rollen wie der Zuckerfee, zu Dornröschen oder der Schwanenkönigin. Das tanzen die „Großen“, die Vorbilder, die es einzuholen gilt. So schielt auch die kleine Josephina mit noch scheuem Respekt nach diesen Rollen. Sie gehört zu den „Partykindern“, aber die Spitzenschuhe für die Spitzenpartien hat die Achtjährige schon. Seit wann sie tanzt, weiß sie gar nicht. Eine Zeit, in der sie nicht zum Training gegangen ist und an der Stange ihre Übungen gemacht hat, kann sie sich gar nicht vorstellen. Und dass sie für die Aufführungen dann von der Schule frei bekommt, findet sie auch eine tolle Sache.
Was Josephina bereits kann, müssen die neuen Mäuschen erst lernen. Nicht nur der Auftritt, sich zum richtigen Zeitpunkt an die richtigen Schritte zu erinnern, sondern auch das Warten hinter der Bühne will gelernt und geübt sein. Wie viel Zeit und Training dahinter steckt, um schließlich als Zuckerfee mit Bonbon-besticktem Tutu im Rampenlicht zu stehen, weiß die 15-jährige Natascha nur zu gut. Sie hat diese Rolle zu Weihnachten zum ersten Mal getanzt. Zeit für anderes bleibt da kaum. Aber ihre Freundinnen trifft sie ohnehin hier im Ballett. Hier sind alle mit dem gleichen Theatervirus infiziert, tanzen und machen ihre Hausaufgaben wie nebenbei.
„Wir haben auffallend gute Schülerinnen“, erzählt Rebecca Berger, eine der Assistentinnen der Leitung. „Wahrscheinlich gehen sie mit der gleichen Konzentration und Disziplin an ihren Schulalltag, wie sie es hier im Ballett lernen.“ Die Gewohnheit, sich selbst kritisch im großen Spiegel des Ballettsaals zu überprüfen, gibt wohl auch den Blick frei auf das eigene Verhalten in der Gruppe. So löst sich dann mancher pubertäre Zickenalarm schnell in Harmonie und Selbsterkenntnis auf. Dass solche Phasen dazugehören, aber auch wieder vorüber gehen, wissen die Mitarbeiterinnen des Kinderballetts – am Ende können sie sich auf „ihre Mädchen“ verlassen. Schließlich kennen sie die meisten von klein auf und können sich gut daran erinnern, dass so manche einst nur an der Hand ihrer Mutter mit in den Ballettsaal wollte. So können Felicitas Binder und ihre Mitarbeiterinnen heute mit berechtigtem Stolz zuschauen, wie die schönen Schwäne über die Bühne gleiten.