Lyrisch-naives Platin-Timbre“, das ist eine der jüngeren Umschreibungen dessen, was der Tenor Klaus Florian Vogt derzeit auf den Bühnen der Welt hören lässt – von Berlin bis Baden-Baden, von Tokyo bis New York. Eine „naive“ Stimme? Solche Zuschreibungen beruhen offenbar auf dem Eindruck, das Organ des gebürtigen Holsteiners funktioniere unabhängig von Seelenlagen und Bühnensituationen immer gleich gut, weil sein Träger in Bezug auf seine Stimme ein Naivling ist, ein „reiner Tor“ – was ja für einige von Richard Wagners Heldenfiguren, die Vogt gerne und immer öfter international hören lässt, ganz gut passen würde.
Müheloses Singen als Naturbegabung?
Zu der hohen Störanfälligkeit des Opernsänger-Berufs indes passt es nicht. Dass Klaus Florian Vogt als Star des internationalen Opernbusiness ein Naivling im Umgang mit verschiedenen komplexen Opernpartien oder gar mit seiner Stimme sein kann, ist unwahrscheinlich. Diese jedoch hört sich, namentlich in seiner Paradepartie des Lohengrin, an vielen Abenden tatsächlich so mühelos, so unberührt von technischem Wollen an, dass unwillkürlich der Eindruck einer Naturbegabung entsteht. „Allmählich naht vom Himmel eine Taube“, singt der Titelheld im letzten Drittel der Gralserzählung des Lohengrin. Diese ist unter Tenören gefürchtet, nicht zuletzt wegen der leisen, hohen Töne, worin ein einzelner Sänger zum Schluss noch einmal die ganze lyrische Klangwelt dieser romantischen Oper par excellence zusammenfassen soll.
Einem wie Vogt gelingt das seit 2002 immer besser. Damals gab er sein Lohengrin-Rollendebüt am Theater Erfurt. Nach der mehrstündigen Beanspruchung der Stimme zu voller Orchesterbegleitung singt Vogt den hohen Ton auf „Taube“ oft völlig eben, im Piano. „Wenn ich im dritten Akt in der Gralserzählung die „Taube“ noch so leicht setzen kann, gehe ich davon aus, dass ich die drei, vier Stunden vorher nicht allzu falsch gesungen habe.“
Vogt tritt entschieden dem Eindruck entgegen, bei seinem mühelos ansprechenden und hell klingenden Tenor würde es sich um ein von sängerischer Technik und stimmlicher Ausbildung kaum berührtes Naturorgan handeln. Immer wieder sucht der Sänger, trotz der zeitraubenden internationalen Engagements bei seinen Gesangslehrern Rat. Den schlimmsten aller Fälle, nämlich den ganzen Abend angestrengt gegen ein Wagner-Orchester anzusingen – „in Notwehr“, wie Klaus Florian Vogt es nennt – kann sich der Sänger durchaus vorstellen. „Oder Sie geraten während der Aufführung an physische Grenzen, wissen aber ganz genau: Ich muss jetzt noch zwei Akte durchstehen. Am Ende krabbeln Sie nur noch über die Ziellinie. Das darf nicht zu oft passieren.“
Heldentenöre und wirklich wahre Helden
Passiert sei es aber durchaus schon, räumt Klaus Florian Vogt ein. Daher hat Vogt die gefürchteten Kernpartien dieses Faches, Wagners Siegfried und Tristan, bisher zu singen abgelehnt – trotz zahlreicher Anfragen. Er hat nicht vor, um jeden Preis „der Heldentenor“ zu werden. Ebenso sieht der ehemalige Orchester-Hornist, der das Gesangsmetier einst neben seinem Dienst an der Hamburgischen Staatsoper quasi berufsbegleitend lernte, die Zuschreibung „Held“ für sich als Person als unpassend an. Die wirklichen Helden jenseits der Bühne? „Wenn in Fukushima Arbeiter in das zerstörte Kernkraftwerk gehen, obwohl sie genau wissen, dass sie verstrahlt werden. Das ist für mich heldenhaft. Sie tun das, weil es getan werden muss.“
Es sind nicht nur die explizit heldischen Wagnerpartien, die Klaus Florian Vogt zur Zeit gerne singt. In der Deutschen Oper Berlin begeisterte er vor kurzem mit der wunderbar lyrischen Verkörperung des Faust in Berlioz’ hierzulande selten gespielter Oper Fausts Verdammnis. Und im Juni wird der Sänger in Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos als Bacchus auf der Bühne der Wiener Staatsoper stehen. Es ist eine Partie in besonders hoher Tenorlage. Sie bringt die Vorzüge dieser hellen, strahlenden Stimme bestens zur Geltung – ohne dass jemand auf den Gedanken käme, Klaus Florian Vogts Stimme klänge „naiv“.