Im Innern brodelt es heftig. Auch wenn die Ausbrüche selten sind, überträgt sich die Leidenschaft ihres Spiels in jedem Moment: Liza Ferschtman gleicht einem geigerischen Vulkan. Und sie ist eine Vollblutmusikerin im ganzheitlichen Sinne, keines jener geigenden Girlies, die zwar auf ihrem Instrument entzücken, sonst aber wenig zu sagen haben.
Geboren wird sie in Holland als Kind russischer Juden, Mutter und Vater sind beide Musiker. Natürlich spürt Ferschtman ihre Wurzeln, wobei sie sich weniger mit „diesen starken Virtuosen und ihrem klangvollen Spiel“ verbunden fühlt. Die „russische Schule“, wie sie ihre Eltern verkörpern, identifiziert sie mit „breit gebildeten Künstlern, die sich auch in Literatur und Kunst sehr gut auskennen.“ Sie wurde denn auch nicht zum Wunderkind gedrillt, sondern wuchs „mit Liebe zur Musik auf“. Die Freiheit und der Spaß am Musizieren sind bis heute ihre Motivation: „Ich bin keine Geigerin, bei der sich alles um das eigene Instrument dreht. Ich muss unbedingt Musik machen. Die Geige ist nur ein Weg zur Musik.“
Die Sopranstimme ihrer Stradivari
Bis heute fasziniert sie zumal der tiefe Klang des Cellos – das Instrument ihres Vaters. Auf der Suche nach dem persönlichen Ideal ihres Geigentons geht es eben darum, „dass es unter dem Ton noch etwas gibt.“ Sie schätzt tiefgründige Untertöne mehr als bloß brillante Obertöne. Lange spielte Ferschtman eine sehr schöne Storioni – eine Geige mit ganz tiefer Stimmung, die eher einer Bratsche glich: „Das war mein Ton. Nun spiele ich auf einer Stradivari, die eher einer Sopranistin gleicht. Ich gebe mir viel Mühe, damit sie mehr wie ein Mezzo klingt, weil mir dieser Charakter mehr entspricht. Wie man ist, so spielt man.“
Immer wieder klingen Vergleiche mit dem Singen an, wenn Liza Ferschtman über ihr Geigenspiel spricht. Zwei Aspekte spielen dabei eine Rolle: „Da ist die Lyrik des Singens, man muss atmen und phrasieren wie ein Sänger. Und da ist das Erzählende des Singens. Für mich ist es sehr wichtig, ohne Text etwas zu erzählen und die Menschen auf diese Weise mitzunehmen. Ich spiele von A nach B, mache ein Komma, spreche dann weiter: Auch komplizierte Zusammenhänge werden so für das Publikum nachvollziehbar.“ Schon als Kind hat Liza Aufnahmen von Sängern wie Kathleen Ferrier, Hans Hotter und Dietrich Fischer-Dieskau gehört: „Für meine Eltern war der Gesang das höchste Ideal für alles Musizieren.“ Konkret versucht sie, sich beim Geigen „Klangworte oder sogar Geschichten vorzustellen“.
Erzählen und nicht nur spielen
Bei jedem neuen Stück gilt es, die perfekte Balance zwischen Klang und Deklama-tion zu finden. „Ich unterscheide zwischen instrumentalem und musikalischem Spiel. Wenn ich eine Aufnahme abhöre, denke ich manchmal: Das klingt jetzt instrumental richtig gut, aber ich habe noch nicht genug ‚gesagt‘. Man muss aufpassen, nicht nur ‚schön Geige zu spielen‘. Das können viele! Natürlich gibt es Musik, für die der schöne Klang genau richtig ist. Aber in einer Sonate von Beethoven muss man sprechen und zulassen, die reine Schönheit zu verlassen.“
Stilistisch sattelfest – ob mit oder ohne Vibrato
Hier spiele nun die Dosierung des Vibrato eine entscheidende Rolle. Die Lehrer der russischen und der amerikanischen Schule bevorzugen ja nicht nur bei roman-tischer Musik einen vibratosatten Zugriff, „damit es schön klingt.“ Ferschtman ist hingegen auch durch die niederländische Tradition der historischen Aufführungs-praxis geprägt: „Für mich strebe ich eine gute Mischung an, bin zwar mehr romantische als barocke Geigerin, will aber mit dem Wissen um den jeweiligen Kontext spielen. Einen rein romantischen Bach fände ich heutzutage unmöglich.“
Inhaltlich gestalten beim Festival in Delft
2007 hat die Musikerin die künstlerische Leitung des Kammermusikfestivals in Delft übernommen. Sie schätzt es, thematisch arbeiten zu können: „Wir integrieren andere Kunstformen, arbeiten mit Schauspielern zusammen. Für die Musiker wie für das Publikum werden weite Kontexte und neue Konzertformen immer wichtiger, gerade für die Vermittlung der Liebe zur Musik an junge Leute. Die Begeisterung weiterzugeben, ist mir noch wichtiger, als nur schön Geige zu spielen.“