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Porträt Louis Lortie

Reise ins Unbekannte

Louis Lortie ist ein Mann für pianistische Marathons

vonArnt Cobbers,

Rufen Sie ihn einfach an und machen Sie einen Termin fürs Interview aus, heißt es bei seiner Agentur. Louis Lortie geht auch sofort ans Handy und sagt: „Gern, aber jetzt geht es nicht, ich bin in Schwerin und gebe gleich ein Konzert.“ Wir könnten uns vielleicht am nächsten Tag auf einen Kaffee treffen, bei ihm im Haus in Prenzlauer Berg gäbe es ein nettes Café.

So unkompliziert wie bei der Anbahnung des Interviews, so uneitel erweist sich Lortie auch im Gespräch. Es scheint, als mache der 52-Jährige am liebsten gar kein Aufheben um seine Arbeit. Dabei zählt der Frankokanadier, der 1984 den Busoni-Wettbewerb gewann und zwischen seinen Konzertreisen mal in Kanada, mal in Italien, meist aber in Berlin wohnt, für viele Fachleute zu den interessantesten Pianisten überhaupt. Über 30 oft hochgelobte CDs hat er für das britische Label Chandos eingepielt. Mehrfach hat er alle 32 Beethovenschen Klaviersonaten zyklisch aufgeführt – beim Londoner Beethoven-Festival 2001 zusätzlich sogar alle Geigen- und Cellosonaten, die Klaviertrios und die fünf Konzerte, geleitet von ihm selbst vom Flügel aus. Und in seiner Heimatstadt Montreal stemmte er eine Konzertreihe mit sämtlichen Mozart-Klavierkonzerten. Außerdem dirigiert er und ist in diesem Jahr zum ersten Mal als Cembalist aufgetreten – weil er Bach auf dem modernen Flügel problematisch findet.

Chopin, Ravel und Liszt sind weitere Komponisten, mit denen er sich seit Jahren intensiv beschäftigt, und so war zu erwarten, dass der Marathon-Mann auch im Liszt-Jahr mit etwas Besonderem aufwarten würde, nicht nur mit einem „Salat von Show-Pieces“, wie er es nennt. Sondern mit einer „Reise durch Liszts Leben“: den Années de Pèlerinage.

Liszts Pilgerreise ist ein ziemlicher Brocken. Zweieinhalb Stunden Musik in drei „Jahrgängen“, die Liszt in einem Zeitraum von über 40 Jahren schrieb und veröffentlichte. Ein Querschnitt, wie er disparater auf den ersten Blick kaum sein könnte: Der „Schweizer Jahrgang“ widmet sich Landschaftsschilderungen, der „italienische Jahrgang“ der Kunst und Kultur Italiens, während das „dritte Jahr“ rein meditativen Charakter hat. Stücke wie die anderthalbminütige Pastorale, die 17-minütige Fantasia quasi sonata: Après une lecture du Dante und der Trauermarsch für den mexikanischen Kaiser Maximilian I. wollen erst einmal unter einen Hut gebracht werden. „Es gibt viele Querverbindungen, es gibt thematische Zellen, die wiederkehren“, sagt Lortie. „Generell entwickelt Liszt oft aus einer musikalischen Idee von wenigen Noten eine ganze Welt, das finde ich hochinteressant.“

Dennoch die Frage: Ist es sinnvoll, alle drei Jahrgänge am Stück zu spielen? Lortie hat eine simple Antwort: „Es funktioniert. Die Leute sind neugierig auf diesen Liszt. Jede Wagner-Oper dauert länger, und ‚schwierig‘ sind allenfalls Stücke aus der letzten Année. Das verweist schon stark auf Bartók und klingt eher nach 20. Jahrhundert als nach Romantik. Liszt hat so unglaublich viel geschrieben, und vieles ist nur ein pianistischer Spaß. Aber in manchem ist er enorm zukunftsweisend: La Chapelle de Guillaume Tell nimmt Lohengrin vorweg, auch Ravel und Debussy klingen schon an.“

Die nächste Pilgerreise unternahm Lortie also an Liszts 200. Geburtstag und auf einem (neuen) Steingräber-Flügel, dessen Klang schon Liszt schätzte und der „nichts zu tun hat mit den überbrillanten, metallischen Klängen der heutigen Steinways.“

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