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Porträt Luigi Nono

Eine neue Grammatik der Musik

Luigi Nonos Prometeo kehrt in den Kammermusiksaal zurück

vonCorina Kolbe,

Mittlerweile ist es 27 Jahre her, dass Luigi Nonos Prometeo in Venedig aus der Taufe gehoben wurde. Doch seinen experimentellen Charakter hat das monumentale Werk über den antiken Prometheus-Mythos bis heute nicht verloren. Textfragmente von Dichtern wie Aischylos, Euripides, Goethe, Hölderlin und Pindar werden miteinander in einer Klangsprache verwoben, die Mitwirkende und Publikum bis an die Grenzen des Hör- und Artikulierbaren führt. Sänger und Instrumentalisten messen sich mit einer Live-Elektronik, deren rasante Fortentwicklung immer neue akustische Maßstäbe setzt.

Beim diesjährigen Musikfest kehrt Prometeo nun an den Ort zurück, den der Komponist selbst für die Berliner Premiere 1988 ausgesucht hatte. Arturo Tamayo, der Prometeo in Berlin gemeinsam mit seiner Kollegin Matilda Hofman leitet, und das Werk seit Anfang der neunziger Jahre mehrfach dirigiert hat, hält den Kammermusiksaal wegen seiner intimen Atmosphäre für ideal. „Wenn der Raum zu groß ist, riskiert man, dass die Wirkung verloren geht.“

Der spanische Dirigent ist sozusagen ein Mann der ersten Stunde. Gemeinsam mit dem Schweizer Komponisten und Dirigenten André Richard arbeitete er bereits Anfang der achtziger Jahre mit Nono in Freiburg zusammen. Ihr Solistenchor Freiburg war im September 1984 an der Uraufführung beteiligt, ebenso wie das Experimentalstudio des heutigen SWR, das unter Leitung von Richard auch in Berlin wieder die Live-Elektronik steuert. An Nono fasziniert Tamayo, dass er in seinen Werken „eine neue Grammatik der Musik“ entworfen habe: „Durch seinen Umgang mit der Stille bringt er den Hörer dazu, sich ganz tief in den Klang hineinzubegeben.“ In der Dynamik, das vom achtfachen piano bis zum dreifachen forte reicht, stecke eine ungeheure Spannung. „Ein solches Klangpanorama kann sich nur in einem längeren Stück entfalten.“ Dafür bietet Prometeo reichlich Raum. Die Aufführung dauert zweieinhalb Stunden ohne Pause – ein Abenteuer, das dem Publikum viel Konzentration abverlangt.

Bei jeder Aufführung des Prometeo in den letzten 27 Jahren dabei war die Altistin Susanne Otto, für deren Stimme Nono mehrere Werke geschrieben hat. Sie ist auch in Berlin mit von der Partie: „Am Anfang war mir diese Musik ziemlich fremd, doch inzwischen fühle ich mich in dem Stück zu Hause“, bekennt sie. Stellenweise fühlt sie sich an Alte Musik erinnert – beim letzten Ensemblestück, in dem die Stimmen der Sänger miteinander verschmelzen sollen, an die Klänge des Venezianers Giovanni Gabrieli, der Nono stark beeinflusst hat. Anders als manche früheren Kompositionen Nonos, die auf zeithistorische Ereignisse Bezug nehmen, scheint Prometeo außerhalb der Zeit zu schweben. Nono habe selten etwas zum Inhalt erklären wollen, erzählt Susanne Otto. „‚Hört‘, hat er uns immer gesagt. ‚Gebt euch der Erfahrung des Hörens hin, das ist das Allerwichtigste.‘ Als Sänger fühlt man sich dadurch als Teil eines großen Ganzen.“

Dass bei den Aufführungen im Kammermusiksaal auch das Konzerthausorchester beteiligt ist, ist kein Zufall. „Diese Musik sollte im Gedächtnis der großen Klangkörper bleiben und nicht nur von Spezialensembles für zeitgenössische Musik aufgeführt werden“, sagt Winrich Hopp, der künstlerische Leiter des Musikfests Berlin. „Die entscheidenden Werke des 20. und 21. Jahrhunderts in der Repertoirekultur der hiesigen Orchester zu verankern, ist ein wichtiges Ziel des Musikfestes.“

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