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PORTRÄT Günter Wand

Meister der heiligen Nüchternheit

Günter Wand wäre am 7. Januar 100 Jahre alt geworden

vonPeter Krause,

Als Günter Wand in jungen Jahren einmal gefragt wurde, ob er Beethovens Neunte denn eher wie Toscanini oder wie Furtwängler dirigieren wolle, hat er geantwortet: „wie Beethoven“. Werktreues Musizieren ohne subjektive Projek­tion, dafür aus profunder Kenntnis und penibler Ausdeutung des Notentextes heraus entwickelt, ist zwar leichter gesagt als getan.

Günter Wand, der am 7. Januar 100 Jahre alt geworden wäre, möchte man indes einen solchen Meister der heiligen Nüchternheit nennen. Unerbittlich, streng, diszipliniert und probenpräzise hat Wand gearbeitet. Fünf Proben zu je drei Stunden hat er vor jedem Konzert eingefordert. Und bekommen. Für Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker, an deren Pult er im Frühjahr 1995 triumphal zurückkehrte, oder das Chicago Symphony Orchestra, bei dem er 1989 ein spätes kultisches Amerika-Debüt feierte, war das eigentlich eine Zumutung. Nicht nur, weil diese Luxusensembles Wands Kernrepertoire, das er während seiner Alterskarriere auf Beethoven, Brahms und Bruckner sowie auf Franz Schubert reduziert hatte, noch im Schlaf makellos spielen können, sondern auch, weil Proben Geld kosten und keinen Ertrag an der Kasse generieren.

So wenig Kompromisse in seiner Kunst etwas zu suchen hatten, so sehr lehnte Günter Wand die Moden und Mätzchen der Eventisierung ab, die den Klassikmarkt heute, zehn Jahre nach seinem Tod am 14. Februar 2002, mehr denn je bestimmen. Das Establishment schockierte er schon in seinen frühen Kölner Jahren freimütig mit einer Erkenntnis, die er von seinem Lehrer Philipp Jarnach übernommen hatte: Theater seien „Tempel der Kunst und keine Bordelle.“ Mochte Wand in seinen späten Jahren ob seiner Programmgestaltung kaum als fortschrittlich gelten – als junger Kapellmeister war er enorm offen für die zeitgenössischen Strömungen der Musik. Er dirigierte eine Vielzahl von Ur- und Erstaufführungen, so 1946 das Konzert für Orchester von Bernd Alois Zimmermann und 1951 das Cellokonzert von Wolfgang Fortner, zudem Werke von Béla Bartók, Walter Braunfels, Benjamin Britten, Olivier Messiaen oder Igor Strawinsky. Als konservative Kölner Konzertgänger seine Aufführung eines zeitgenössischen Werks im Gürzenich mit nur schwachem Applaus und umso stärkeren Buh-Rufen bedachten, verbeugte Wand sich vor dem Publikum und sagte: „Ich sehe, Sie haben das Stück noch nicht verstanden. Ich werde es Ihnen daher nochmals zu Gehör bringen.“ So geschah es.

Günter Wands Unbestechlichkeit, sein Gerechtigkeitsempfinden und seine Konsequenz nicht nur in künstlerischen Dingen, die ihm das Etikett eines „Qualitätsquerulanten“ eintrugen, wären ihm 1942 fast zum Verhängnis geworden. Als er in kleinen Zeitungsmeldungen las, dass Menschen wegen Verleumdung eines NS-Funktionärs verurteilt wurden, und als er von Unterschlagungen bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt hörte, fragte Wand diesbezüglich bei seinem Schwiegervater nach. Der meldete das Gerücht dem Kölner Oberbürgermeister, der ein Verhör des jungen Kapellmeisters bei der Gestapo anordnete. Eine Anzeige wegen Verbreitens unwahrer Gerüchte endete nur deshalb glimpflich mit einem Verweis, weil Wand auf einen musikbegeisterten Staatsanwalt traf, der ihn aus Opernaufführungen kannte.

Günter Wands Jugend war behütet. In seinen von Wolfgang Seifert aufgezeichneten Erinnerungen sagt er: „Wir haben wie die Prinzen gelebt.“ Allerdings erwartete der Vater, ein begüterter Geschäftsmann aus Elberfeld (heute Wuppertal), dass sein Jüngster etwas „Ordentliches“ lerne, um später seine Nachfolge antreten zu können. Doch es kam anders. Mit zwölf erlebte Günter im heimischen Operettenhaus den Zigeunerbaron, mit Richard Tauber als Barinkay. „Was der Kapellmeister da machte, hat mich so fasziniert, dass für mich feststand: Das will ich auch einmal werden!“ Der Weg dorthin war steinig: Sein Vater fand den Berufswunsch geradezu abwegig. Günter schlich sich, während die Eltern Mittagsschlaf hielten, ins väterliche Kontor, legte sich Partituren auf ein Doppelstehpult und ließ die Musik vor seinem inneren Ohr erklingen. Bis zuletzt sollte dies zu den Lieblingsbeschäftigungen des Dirigenten gehören, der seine Werktreue stets als Ausfluss von Werkkenntnis begriff. Wand ertrotzte sich sein Musikstudium in München und Köln.

In den 30er Jahren eine Anstellung als Berufsanfänger ohne NSDAP-Parteibuch zu finden, war keineswegs einfach. Wand wählte den Weg über die Provinz – mit Erfolg. Schon 1939 wurde er als 1. Kapellmeister an die Kölner Oper berufen, wo er bereits 1940 mit d’Alberts Tiefland seine erste eigene Premiere leiten durfte. Als er in der Saison 1944/45 als Kurzzeit-Chefdirigent ans Landestheater Salzburg wechselte, oblag es ihm, nachdem der Theaterbetrieb kriegsbedingt eingestellt worden war, „der Lage angemessene Programme zu dirigieren“ und so auch das letzte öffentliche Sinfoniekonzert des Dritten Reiches am 30. April 1945 zu leiten – mit Beethovens Eroica als Abschluss.

Im Spätsommer 1945 nach Köln zurückgekehrt, wurde Wand 1946 zum Generalmusikdirektor der Domstadt ernannt. Bis 1974 blieb er Köln treu, wirkte dort also insgesamt einmalige 35 Jahre. Hatte er von 1949 bis 1957 achtmal am Pult der Berliner Philharmoniker gastiert, verhinderte Herbert von Karajan fortan eine stärkere Präsenz des ernsthaften Konkurrenten an der Spree. Wand feierte gleichwohl frühe internationale Erfolge: 1959 war er der erste deutsche Dirigent, der zu Konzerten in die Sowjetunion eingeladen wurde.

Ab 1982 folgte dann die Hamburger „Ära Wand“ – der Jahrgangsgenosse von Pultgrößen wie Sergiu Celibidache und Georg Solti wurde Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters. Rolf Beck, Leiter des Bereichs Orchester und Chor beim NDR, war gut befreundet mit Wand, der ihm sogar das „Du“ anbot. Er berichtet von dessen gültigen Interpretationen. Vergleiche man die Einspielungen von Anton Bruckners gigantischer achter Sinfonie, die Wand mit den Sinfonieorchestern des WDR und des NDR vorgelegt hat, ergäben sich nur minimale Abweichungen von wenigen Sekunden. Beck erzählt von Wands Anspruch, man müsse eben „den inneren Puls der Werke spüren“. An dem einmal als richtig erkannten Puls hat sich für Wand auch nach Jahren wenig verändert.

Als er in einer Probe einmal Streicher und Bläser getrennt habe, ließ er, so Beck, die Kontrabässe so lange an der Phrasierung feilen, bis die von ihm gewünschte Kantilene perfekt ausgeführt worden sei. Es ging Wand indes nie um Probenschikane oder gar um sich selbst, es ging ihm stets um die Musik. Als der bald 90jährige körperlich zwar hinfällig wurde, aber weiterhin „voller unerbittlichem, hellwachem Geist war“, durfte Beck ihn aufs Podium geleiten, wo der Kapellmeister des legendären Titanic-Jahrgangs 1912 bis zuletzt der Musik diente – so unsentimental und nüchtern, wie er selbst seine Lebensleistung betrachtete.

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