Es kommt nicht häufig vor, dass ein Orchestermusiker von außen den eigenen Kollegen lauscht. Aber wenn, dann „bin ich immer wieder überrascht: Der warme Klang gerade bei den Streichern ist wirklich eine Spezialität und das große Geheimnis von uns“, sagt Chiara Astore, Tuttigeigerin der ersten Violinen im Leipziger Gewandhausorchester. Was dieses Geheimnis genau ausmacht? Nein, das vermag auch sie nicht recht zu beschreiben, doch auf jeden Fall steckt harte Arbeit dahinter, dass dieser besondere Klang überall auf der Welt als individuell gepriesen wird. Und das zu Recht.
Seit der Saison 2004/2005 bildet das Orchester dafür in einer eigenen Akademie neue Musiker aus. An sich nichts Besonderes, denn viele Klangkörper versuchen, so ihren Nachwuchs selbst heranzuziehen. Doch neben Leipzig gibt es in Deutschland nur noch in Mannheim eine Kooperation mit der ortsansässigen Musikhochschule, die das zweijährige Curriculum als Aufbaustudium mit einem echten akademischen Abschluss versehen hat. „Wir berufen uns dabei auf die lange Tradition, die Felix Mendelssohn Bartholdy dereinst begründet hat“, sagt Orchestervorstand Karsten Heins.
1835 war der Komponist am Gewandhaus Kapellmeister geworden – acht Jahre später initiierte Mendelssohn das Konservatorium als erste Musikhochschule Deutschlands und sorgte so dafür, dass die dortigen Orchestermusiker die Ausbildung ihres Nachwuchses selbst in die Hand nahmen. Bis zur Wende bestand diese enge Verbindung, wurde dann aber zugunsten einer internationalisierenden Öffnung aufgegeben. „Doch 2005 hat man sich wieder auf die gute Tradition besonnen und die Mendelssohn-Orchesterakademie gegründet“, beschreibt Heins die Rückkehr zu den Wurzeln.
Wie im Fußball: Nicht jedes Talent schafft es in die 1. Liga
Seither ist der Ansturm auf das Dutzend Plätze, die alljährlich zu vergeben sind, riesig: Aus aller Welt kommen jedes Jahr rund 1000 Bewerbungen, etwa 400 der Interessenten werden zum Probespiel eingeladen – zwölf am Ende genommen. „Spielen können die alle, aber wir können mit ein bisschen Erfahrung schon hören: Haben sie Potenzial, passen sie zu uns?“ gibt Heins einen kleinen Einblick in das Auswahlverfahren.
„Oft entscheiden nur Nuancen“ – wobei das letzte Wort noch die Hochschule hat. Dass die Akademisten hernach ins weltberühmte Gewandhausorchester aufgenommen werden, ist indes keineswegs garantiert, „doch muss man sich das wie in der Fußballausbildung vorstellen: Da wird auch nicht jedes begabte Nachwuchstalent in die 1. Liga geschickt, kann aber durchaus auch woanders erfolgreich sein.“ Was bedeutet: Wer in Leipzig ausgebildet wurde, findet auf jeden Fall in anderen Orchestern einen Platz.
Eine Ausbildung, die keine Hochschule ersetzen kann
Und kehrt eines Tages dann vielleicht doch wieder ans Gewandhaus zurück wie Chiara Astore, die eine der ersten Akademistinnen war. „Nach dem Abschluss habe ich zwei Jahre in Holland gespielt, wo es mir aber nicht sehr gefiel“, erzählt der in Augsburg aufgewachsene Sprössling italienischer Eltern. „Mich zog es wieder nach Deutschland – ich hatte zwar noch ein anderes Angebot, wollte aber unbedingt zurück in dieses Orchester.“ Was ihr auch gelang; eine Garantie indes, dass man genommen werde, nur weil man schon bekannt sei, die gebe es keineswegs: „Dass man schon da war, kann ein Vorteil sein – oder auch ein Nachteil. Ich hatte Glück.“
Zweifellos auch mit ihrer Ausbildung, die über die akademisierte Form hinaus nämlich ebenso inhaltlich von besonderer Art ist: Gehören Orchesterdienste und die Ausbildung in Kammermusik doch zur Kernidee des Studiums. „In Verbindung mit dem Einzelunterricht bei den Orchestermusikern, die das Klangideal des Gewandhauses vermitteln, ist dieser Baustein entscheidend für die Qualität der Akademie“, meint Astore. „Dies kann eine Hochschulausbildung anderswo einfach nicht bieten, weil dort vor allem solistisch ausgebildet wird.“
Natürlich sei die Spieltechnik inzwischen internationalisiert, verschiedene Schulen wie noch vor hundert Jahren gebe es nicht mehr – „doch wenn man im Orchester sitzt, die Ohren aufmacht und sich anpassen kann, dann nimmt man automatisch auf, was die anderen machen: Eine bessere Ausbildung gibt es nicht.“ So haben am Ende alle etwas davon: Die Akademisten bekommen reichlich Spielpraxis mit auf den Weg – und das Gewandhausorchester sorgt für das Fortleben seiner Klangtradition.