Ein schöneres Geschenk zum hundertsten Geburtstag hätte sich die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz wohl kaum machen können. Mit ihrem neuen Chefdirigenten Michael Francis scheint das Orchester einen Volltreffer gelandet zu haben, denn schon jetzt verspürt der sympathische Brite eine starke Verbindung zu den Musikern. Vielleicht liegt das daran, dass der 43-Jährige im London Symphony Orchestra lange selbst als Kontrabassist gespielt hat. „Es war so eine große Freude im Orchester zu spielen, besonders wenn wir auf Tournee waren“, erinnert er sich an seine Zeit als aktiver Musiker. „In der Bassgruppe herrschte viel Kameradschaft und wir hatten wirklich eine Menge Spaß. Ich bin so dankbar, dass ich dies erleben durfte, bevor ich Dirigent wurde.“
Innerhalb weniger Jahre hat sich Francis einen hervorragenden Ruf erarbeitet und ist mittlerweile im internationalen Konzertgeschehen eine feste Größe. Dirigent wurde er dank eines Zufalls: Als Valery Gergiev 2007 mit dem London Symphony Orchestra Schostakowitschs Vierte einstudierte und bei einer Probe kurzfristig verhindert war, sprang Francis spontan ein – und das mit so großem Erfolg, dass damit der Grundstein zu seiner Karriere als Dirigent gelegt war.
Inspirationen abseits der Musik
Gelernt hat er von den ganz Großen, vor allem durch Gespräche und sehr genaues Zuhören: Bernard Haitink, Sir Colin Davis, Valery Gergiev. Doch auch abseits der Musik lässt er sich gerne inspirieren: Der begeisterte Sportfan würde gerne einmal den Kapitän des englischen Cricket-Teams treffen und ihn fragen, wie er mit der nervenaufreibenden Spannung des WM-Finales fertig geworden ist (das England übrigens gewonnen hat) und dabei immer noch ein ruhiger und herausragender Anführer sein konnte.
„Das Wichtigste, was ich jedoch gelernt habe, ist, mich mit Demut und voller Hingabe auf ein Konzert vorzubereiten und dann auf dem Podium ganz ich selbst zu sein.“ Dabei ist ihm sein Mittagsschlaf am Konzerttag genauso heilig wie eine optimale Probenphase, in der er für seine Musiker ein vertrauensvolles Umfeld schaffen möchte. „Ich erhoffe mir, dass sie auf diese Weise ihre spontane und inspirierte Kreativität in die Konzerte einbringen und ihr Potenzial voll ausschöpfen können“, erklärt Francis. „Immerhin sind sie ja diejenigen, die die Musik zum Klingen bringen.“
Michael Francis: Keine Festlegung auf einen bestimmten Dirigierstil
Auf einen bestimmten Dirigierstil will sich der uneitle Shootingstar nicht festlegen, vielmehr sei seine Art abhängig vom jeweiligen Werk. „Ich bin jedes Mal fasziniert von der Dramatik, mit der Komponisten ihre Geschichten erzählen“, resümiert er. In der Praxis hänge sein Stil jedoch oft direkt von den Musikern ab, denn er wolle ihnen vor allem helfen, im Konzert ihr Bestes zu geben, da das Liveerlebnis eines Konzertbesuchs für ihn absolut unersetzbar sei. Zu hören, wie die Noten von den leidenschaftlichen und engagierten Musikern zum Leben erweckt werden, sei jedes Mal eine wahre Freude.
Derzeit lebt Francis in Florida, wo er in fünfter Spielzeit Musikdirektor des Florida Orchestra ist. Europäisch fühle er sich allemal: „Ich bin stolz darauf, in Großbritannien als Teil des riesigen, vielfältigen europäischen Kulturkontinents aufgewachsen zu sein.“ In Deutschland freue er sich nun gemeinsam mit der Staatsphilharmonie, so viele Menschen wie möglich für Musik zu begeistern. Denn ein Leben ohne Musik? „Eine verpasste Gelegenheit von epischem Ausmaß.“