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Porträt Michael Nündel

Sachwalter einer anspruchsvollen Unterhaltungskultur

Dirigent Michael Nündel strebt im Musiktheater nach präziser Artikulation. Als neuer Chef der Musikalischen Komödie Leipzig setzt er auf perfekte Übergänge zwischen Text, Tanz und Musik.

vonRoland H. Dippel,

Die Musikalische Komödie Leipzig (MuKo) ist eines von nur drei oder – zählt man die Komische Oper Berlin dazu – vier deutschen Repertoiretheatern mit Operette und Musical als Schwerpunkt. Das Amt des Chefdirigenten des zweiten Leipziger Musiktheaters ist dementsprechend exklusiv. Jetzt wurde der in Chemnitz geborene und in Berlin aufgewachsene Dirigent Michael Nündel an das vor wenigen Jahren sanierte Haus Dreilinden berufen. Nündel tritt in die künstlerischen Fußstapfen des legendären Roland Seiffarth, der als blutjunger Mann für die letzten Jahre der DDR kam und ein ganzes Künstlerleben lang blieb, und von Stefan Klingele, der zum Beispiel mit Leonard Bernsteins „On the Town“ und dem in der DDR entstandenen Musical „Bretter, die die Welt bedeuten“ für die MuKo neue Spielplan-Dimensionen erschloss.

„Ich liebe die noch immer unterschätzten Gattungen Operette und Musical“, sagt Nündel mitten im Umzug nach Leipzig. Das klingt enthusiastisch und nach anpackender Freude. Das Angebot erhielt er während der von ihm dirigierten Premierenserie von „The Producers“ in der Regie des klug verspielten Dominik Wilgenbus. „The Producers“ ist inzwischen ein Kultstück. In dieser Musical-Groteske wird ein nationalpopulistisches Machwerk zum Broadway-Erfolg, weil das Publikum im Stück nur allzu Ernstgemeintes für eine pfeilscharfe Parodie hält. Nündel genoss die vitale Absurdität des Stücks und war von den Möglichkeiten des Hauses begeistert. „Für insgesamt fünf Saxofon-Positionen brauchten wir nur einen Gast – und die Schlagzeug-Gruppe ist angemessen groß“, schwärmt Nündel und macht mit diesem Beispiel deutlich, wie sich das erstklassige MuKo-Orchester von einem „normalen“ Konzert- und Musiktheater-Orchester unterscheidet.

Dem leichten Musiktheater mit Würde begegnen

In Festanstellungen am Theater Kiel und am Staatstheater Darmstadt war Nündel oft für Operetten- und Musical-Einstudierungen verantwortlich. „An der MuKo ist das musikalische Unterhaltungstheater die Hauptsache, hat also nicht die ihm an anderen Theatern zugewiesene Cashcow-Funktion und steht vor allem nie unter Legitimationsdruck“, freut er sich. Nündel bedauert es zutiefst, dass Operette, Musical und Musikalisches Lustspiel an Mehrspartenhäusern oft volle Kasse bringen sollen und deshalb mit sträflicher Leichtfertigkeit simplifiziert werden – „dabei kommen Spitzenreiter und unbekannte Titel erst bei genauer Erschließung durch Schärfung des Gegenwartsbezugs zum optimalen Glänzen“. Solche Erfahrungen machte Nündel auch in anderen Sparten, etwa als er am Münchner Gärtnerplatztheater Adolphe Adams romantisches Ballett „Giselle“ mit eigenen neuen Arrangements neben der originalen Instrumentation vorstellte.

Aufgrund langer Planungsvorläufe kann Nündel den Premierenplan erst ab Spielzeit 2026/27 des unter der Oper Leipzig stehenden, aber durch die eigenen Kollektive Orchester, Chor und Ballett autonomen Theaterbetriebs initiativ mitgestalten. Ihn erstaunt, was im Haus Dreilinden noch nie den Weg auf die Bühne fand: „Trotz seiner Spitzenposition auch in der DDR gab es hier noch nie Jacques Offenbachs ,Die Großherzogin von Gerolstein‘, auch nicht mein Lieblingsstück ,Die Banditen‘. Eine andere unerklärliche Lücke ist zum Beispiel Stephen Sondheims ,Into the Woods‘.“

Über die Operette hinaus

Mit gutem Gewissen kann er sagen: „Ich habe das Operetten- und Musical-Genre gründlich gelernt.“ Den Übergang zwischen Studium und erstem Festengagement gestaltete Nündel fließend und gönnte sich in Berlin „eine wilde Zeit“. Das war sie auch musikalisch. Am Deutschen Theater Berlin assistierte er bei Dagmar Manzels ersten Operetten-Schritten in „La Périchole“ und am Berliner Ensemble in „Großherzogin von Gerolstein“. Wenig später dirigierte er „Happy End“ beim Kurt Weill Fest Dessau. Überdies verfügt Nündel als Leiter des Ensembles Concerto Darmstadt intensive Kenntnisse in der Alten Musik.

„Für mich ist seither die präzise Artikulation im Musiktheater viel wichtiger als das Tüfteln an betörenden Klangfarben“, sagt Michael Nündel. Dieser Anspruch auf präzises Pointieren und die perfekten Übergänge zwischen Text, Tanz und Musik sind es, welche den idealen Sachwalter einer anspruchsvollen Unterhaltungskultur auszeichnen.

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