Werke für vier Hände und zwei Klaviere fristen gegenüber der Solo-Literatur oft ein Schattendasein. Zwar sind Kompositionen wie Poulencs Konzert für zwei Klaviere, Schuberts vierhändige f-moll-Fantasie oder Max Regers Stücke zu vier Händen wahrlich ein Hörgenuss. Dennoch wird die Gattung vielerorts belächelt, sowohl von Veranstaltern als auch von so manchem Zuhörer, der zwei Personen am gleichen Instrument mit Haus- aber nicht mit Konzertsaalmusik assoziieren will.
Insofern braucht es immer wieder Botschafter auf dem Klavierhocker, die den Reiz und musikalischen Anspruch vierhändiger Literatur herausstellen. In Deutschland engagiert sich seit vielen Jahren das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen mit Konzerten, diversen CD-Aufnahmen und Lehrtätigkeit. Internationale Aufmerksamkeit erreichten auch die Geschwister Katia und Marielle Labèque, die in den 80ern mit einer Aufnahme von Gershwins Rhapsody in Blue und extravaganten Bühnen-Outfits zu Weltstars wurden. In ihre Fußstapfen könnte eines Tages ein Klavierduo aus den USA treten:
Die Rede ist von den Zwillingsschwestern Christina und Michelle Naughton. Geboren 1988 in Princeton, fingen sie im Alter von vier Jahren an, Klavier zu spielen – zunächst allerdings noch jede für sich. Christina debütierte mit neun Jahren mit Orchester, ihre Schwester ein Jahr später: „Wir haben uns am Anfang komplett auf das Solo-Repertoire konzentriert“ erzählt Christina im Gespräch mit concerti. „Doch mit 16 wurden wir gefragt, ob wir ein Konzert zusammenspielen. Und von dem Moment an wussten wir, dass uns das gefällt.“ Während ihrer Ausbildung am Curtis Institute of Music in Philadelphia, wo sie außerdem noch Geige und Cello spielten, hatten sie stets die gleichen Klavierlehrer. „Wir haben gelernt, die gleiche musikalische Sprache zu sprechen, das erspart uns heute viel Probenzeit.“
Im vergangenen Jahr schlossen sie ihr Studium ab, seitdem konzertieren sie quer durch die USA, gastierten in Frankreich und Hong-Kong, in Deutschland debütierten sie 2010 im Münchener Herkulessaal.
Sitzen sie am Klavier nebeneinander (Michelle primo/rechts, Christina secondo/links) kann man beobachten, dass nicht nur ihr Spiel außerordentlich synchron ist: gleichsam wogen sie mit dem Oberkörper hin und her, auch in ihrer Gestik korrespondieren sie – es wirkt schlicht so, als herrsche hier eine Einigkeit ohne jeden Widerspruch. Doch die Schwestern winken ab: „Wir haben sehr oft unterschiedliche Ideen, wie wir eine bestimmte Stelle spielen, das führt teilweise auch zu intensiven Debatten, das Klavier ist der einzige Ort an dem wir uns auch mal richtig streiten. Aber so eine Auseinandersetzung gehört dazu und das Ergebnis hat am Ende eine größere Kraft als die Idee des Einzelnen.“
Generell staunt man als Zuhörer nicht schlecht, wenn Klavier-Duos so klingen, als säße ein vierhändiger Pianist am Flügel, wenn ein und dieselbe Melodie zwischen den Duo-Partnern hin- und herwandert, ohne die geringste Veränderung in Ausdruck und Anschlag. Auch die Naughton-Schwestern beherrschen dieses Zusammenspiel perfekt. Dahinter stecke allerdings mehr als nur Musikalität und Übung, erklären sie im Interview. „Wir kommunizieren in erster Linie über unser Gefühl. Das ist fast ein bisschen mysteriös, aber beim Spielen können wir spüren, wie die Energie zwischen uns hin- und herströmt.“ Manchmal gehe diese Verbindung sogar soweit, „dass wir aus dem Auge verlieren, wer gerade welchen Part spielt.“