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Porträt Mikis Theodorakis

Musik als Ausweg aus der Verzweiflung

Im lebenslangen Kampf für seine Ideale: Griechenlands Komponistenlegende Mikis Theodorakis

vonChristian Schmidt,

Im Juli 2015 feiert Mikis Theodorakis seinen 90. Geburtstag – und noch immer stapeln sich bei dem altehrwürdigen Herrn die Anfragen nach seinen Ansichten zur Welt, die er nach und nach abarbeitet, sofern es die Gesundheit zulässt. Mag sich der Volksheld auch nicht mehr viel bewegen können, sein Kopf, so scheint es, ist so frisch wie in seiner bewegten Jugend. Wie oft Theodorakis im Gefängnis saß, gefoltert wurde und dem Tod ins Auge sah; wie oft er Parteien oder Bewegungen gründete, sich im Parlament stritt und flammende Reden hielt; wie oft er sich bis heute zu Wort meldet und doch wieder an den Realitäten verzweifelt – niemand vermag das mehr zu zählen. 

Musikalische Vielfalt: Werke für Film, Kirche, Oper und Konzert 

Klar ist indes: Wer mit dem Komponisten spricht, spricht auch mit dem Politiker, dem Dirigenten, dem Verfolgten, dem Missverstandenen, dem Idealisten und Zweifler. Theodorakis‘ Leben ist eine wahre Odyssee, er wandte sich stets gegen Totalitarismus und Diktatur, machte sich Feinde und Freunde, und die Welt nahm ihn vornehmlich politisch wahr – als Symbol für Freiheit und Entknechtung. In westlichen WG-Zimmern der 70er Jahre wurde Theodorakis daher ebenso gehört wie im Massenkino, in griechischen Tavernen wie in Konzertsälen der so genannten seriösen Musik. Er wurde vereinnahmt von fast allen politischen Richtungen, als Argumentationshilfe verheizt für die absonderlichsten Ideen – und schaltete sich selbst nicht minder aktiv immer wieder ein in die aktuellen Debatten seines Heimatlandes, aber auch in die internationale Politik, wenn er es für richtig hielt: etwa wider das Bombardement gegen Serbien oder den Irakkrieg George Bushs. 

 

Woher nimmt dieses Stehaufmännchen, das schon alle wichtigen Hände geschüttelt hat, ob in der Versöhnung Griechenlands mit der Türkei, im Vatikan oder dem französischen Präsidentenpalast, nur diese ungeheure Kraft? „Richtig zu erklären bin ich nur anhand meiner Musik“, lautet seine Antwort. Und diese Musik ist in der Tat so vielfältig, wie es ein Leben nur sein kann. Zwischen ersten sinfonischen Versuchen, späten Opern, serieller Kammer- und orthodoxer Kirchenmusik sind es dabei vor allem die Filmmusiken, mit denen Mikis Theodorakis internationale Berühmtheit erlangt hat. In die Herzen seiner Landsleute geschrieben hat sich der Komponist indes mit seinen über 1000 Liedern, von denen viele bis heute nicht nur Schulstoff, sondern auch Volksgut sind: einer Art handgemachte Folklore, aus der seine Musik lebt, ohne in ihr unterzugehen, wie es Martin Walser so treffend beschrieb. 

 

Wider der Avantgarde suchte Theodorakis daheim nach Musik für ein breites Publikum

 

Theodorakis entstammt einem Beamtenhaushalt aus der Provinz, in der es seinerzeit noch nicht einmal Rundfunkempfang gab. „Entsprechend initial war meine erste Begegnung mit einem Dirigenten, wegen dessen irritierend raumgreifender Bewegungen ich meine Mutter fragte, was der da anstellte. Sie sagte: ‚Er leidet‘. Da begriff ich, dass Kunst und Musik Schmerz bedeuten.“ Noch als Kind begann der Kirchenchorknabe ohne jede Vorbildung zu komponieren: ein stetes Talent, das er selbst durch die grauenvollsten Erlebnisse als Soldat und Inhaftierter rettete und an den Konservatorien in Athen und Paris professionalisierte. Doch ain Frankreich fühlte sich der Grieche „von der Attitüde der Avantgardisten“ eingeengt: „Auserwählte der Gesellschaft sind keine Dialogpartner. In dieser Zeit, als Pierre Boulez und die anderen Studenten Olivier Messiaens besonders stolz auf ein verstörtes Publikum waren, trieben die Damen in Abendrobe und die Herren im Frack Theodorakis 1960 in die Flucht zurück in die Heimat. „Ich wollte einen Ausdruck finden für ein breites Publikum: Denn in Griechenland gibt es eigentlich keine eigenständige Form außer dem Lied.“

 

Doch als Theodorakis, wieder in Athen, zum Widerstand gegen die 1967 errichtete Militärjunta aufrief und in den Untergrund gehen musste, wurde seine Musik verboten und damit zum Politikum. Fortan wurde er wie ein Heiliger verehrt – bis heute können selbst die jungen Griechen, die ihn als politische Figur gar nicht mehr erlebt haben, seine Lieder auswendig singen. „Auch als Dirigent war mir von Anfang an wichtig, die Menschen zu erreichen, und ich dirigierte vor den Massen Bach und Beethoven. Ich wollte Kunst für das ganze Volk und gleichzeitig Erziehung zu Höherem.“

 

Die Partei gewechselt, doch den Idealen treu geblieben

 

Was von diesen ambitionierten Bildungsveranstaltungen geblieben ist? „Meine Lieder wenden sich heute an den nachdenklichen, sensiblen, modernen Menschen, der in sich einen Riss spürt.“ Vielleicht liegt darin Theodorakis‘ größte Tragik: Sich immer bis zum buchstäblich letzten Blutstropfen aufgeopfert zu haben für seine Ideale, die er auch bei unterschiedlichen politischen Richtungswechseln nie verriet – und doch heute, wenn überhaupt, eher als moralisierender Geist aus einer fernen Zeit wahrgenommen zu werden. Immer wieder zog sich Theodorakis in den letzten Jahren enttäuscht aus der Politik zurück, sah seine politischen Ideale nicht umgesetzt. Immer wieder wurde er missverstanden, fehlgedeutet, aus dem Zusammenhang gerissen zitiert, machte Fehler. Und immer wieder, zuletzt bei Syrizas Wahlsieg, schaltete er sich aber doch wieder ein, verschickte offene Briefe „an die öffentliche Meinung“, wetterte gegen die Junckers der EU und zieh im Zuge der griechischen Staatskrise den Westen der Verhökerung seines Landes. 

 

Doch mit der Wertigkeit der Kultur hat auch die Relevanz ihres wichtigsten griechischen Fürsprechers an Wirkmacht verloren. „Die Wirtschaft ist vom Mittel zum Zweck avanciert, während der Zweck Kultur zum Mittel verkommen ist.“ 

Kein Wunder, dass Theodorakis die größte Enttäuschungs seines Lebens darin sieht, „aus dem Leben zu scheiden, ohne Griechenland so zu erleben, wie ich es mir erträume“: Der Zustand der heute herrschenden Krise habe zu absoluter Hoffnungslosigkeit geführt. Bleibt im Grunde nur die in ihrer Vielseitigkeit und Qualität schier unglaublich gute Musik: „Ich habe die Musik immer als Ausweg aus der Verzweiflung an den Menschen gesehen.“

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