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Musikalische Komödie im Westbad

Die Musikalische Komödie hat sich im Westbad freigeschwommen

Auch in seiner Interimsspielstätte erweist sich das vielseitige Ensemble der Komödie im Westbad als Spezialistenteam für Unerwartetes.

vonRoland H. Dippel,

Früher stellte man im Westbad Sportrekorde auf, viele Leipziger lernten dort auch schwimmen. Doch der von 1928 bis 1930 erbaute Klinkerbau mit dem hoch aufragenden Uhrenturm drohte zu verfallen, bis die Innenräume Anfang des neuen Jahrtausends zur Eventlocation wurden. Für das Ensemble der Musikalischen Komödie auf der anderen Seite des Lindenauer Marktes erwies sich das als Glücksfall. Denn im Westbad hat es von September 2019 bis November 2020 während der zweiten langen Renovierungsphase seines Stammhauses Dreilinden eine zweite Heimat. In Nähe ballen sich andere Theater, innovative Galerien und eine aufstrebende Gastronomie: Vorstadtflair in entstresster und deshalb gewinnender Ausprägung.

Opulenz und Glamour unterm Himmel der fröhlichen Fische

Die Neigungen des vielseitigen Ensembles greifen weit über das erwartbare Operetten-, Spielopern- und Musical-ABC von „Anatevka“ bis „Zar und Zimmermann“ hinaus. Ballettdirektor Mirko Mahr erweiterte mit seiner Kompanie im zweiteiligen Abend „Balkanfeuer“ den internationalen Fokus um eine Tanzfassung von „Sorbas“ nach dem Roman von Nikos Kazantzakis. Frank Schmutzler, technischer Direktor der MuKo, ist im Westbad noch stärker gefordert. Mit geringeren technischen Möglichkeiten als in einem „echten“ Theaterbau ermöglicht und entfesselt er auch im Ausweichquartier Opulenz und Glamour. Für jede Produktion gibt es eine andere Sitzordnung.

Bei der Schlager-Revue „Spiel mir eine alte Melodie“ reihen sich Caféhaustische vor dem sich mit Witz und vielen Evergreens Richtung europäische Liebesmetropolen vorarbeitenden Ensemble. „Der Vogelhändler“ rekapituliert in der Inszenierung von Rainer Holzapfel die Wanderschaft des Ensembles. Dabei schlittert der Adam aus Tirol hin und und her zwischen der Postangestellten Christl und der Theaterdirektorin Marie, die intensives Interesse an seinen intimen Talenten artikuliert. Auf verschiedenen Ebenen des Kuppelsaals spielt ab 1. Februar John Kanders und Terrence McNallys „Kuss der Spinnenfrau“, das die harte Realität in einem argentinischen Gefängnis mit Träumen eines Schwulen und dessen Freundschaft zu einem linken Widerstandskämpfer kontrastiert. Fantasievolle Raumlösungen beinhalten auch ungewöhnliche Herausforderungen für Chefregisseur Cusch Jung und Dirigent Christoph-Johannes Eichhorn. Das Musical nach dem Roman von Manuel Puig ist eine neue Farbe in der Programmausrichtung der Musikalischen Komödie.

Für das Musical „Der Kuss der Spinnenfrau“ wird der Kuppelsaal in ein argentinisches Gefängnis verwandelt.
Für das Musical „Der Kuss der Spinnenfrau“ wird der Kuppelsaal in ein argentinisches Gefängnis verwandelt.

„Neumond“ verspricht eine Inselkomödie mit Happy End

Die Abschlusskonzerte zum Operettenworkshop des Deutschen Musikrats für junge Dirigenten gewinnen immer mehr Kultstatus. Jeder Teilnehmer wird dort größere Blöcke eines unbekannten Werks dirigieren: Kaum sind die Aufführungen von Bernsteins perfider Burleske „Candide“ vorbei, gibt es beim Operettenworkshop schon die nächste amerikanische Operette. Sigmund Romberg ist durch seinen unverwüstlichen „Studentenprinz“ der meistgespielte Komponist bei den Heidelberger Schlossfestspielen. Doch die anderen 55 Revuen und Operetten des Ungarn, der die Entwicklung vom frühen zum „klassischen“ Broadway-Musical ankurbelte, sind in Europa unbekannt: „Neumond“ („The New Moon“, 1928) verspricht maritime Abenteuer und eine Inselkomödie mit Happy End. Das ist nur eines der temporeichen Wintervergnügen unter der mit fröhlichen Fischen bemalten Decke des Kuppelsaals. Neben ihren neuen CD-Einspielungen von Erich Wolfgang Korngolds „Rosen aus Florida“ und des letzte Spielzeit restlos ausverkauften Musicals „Doktor Schiwago“ etabliert sich die Musikalische Komödie also auch im Westbad als Spezialistenteam für Unerwartetes.

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