Das gibt es sonst nur einmal: Neben der Staatsoperette Dresden ist die Musikalische Komödie Leipzig das einzige Repertoiretheater für Operette und Musical in Deutschland. Obwohl das Theater mit dem vielleicht treuesten Publikum zur Oper Leipzig am Augustusplatz gehört, besitzt die Musikalische Komödie künstlerische Autonomie. Im Haus, das 529 Plätze fasst, agieren ein eigenes Solistenensemble samt Ballett, Chor und Orchester, dem Roland Seiffarth als Musikalischer Direktor drei Jahrzehnte lang den unverwechselbaren Ton implantierte. Dieser ist für den neuen musikalischen Chefdirigenten Stefan Klingele ein mindestens so großer Erfolgsgarant wie die Schatztruhe für den Zigeunerbaron.
DDR-Kultstätte Musikalische Komödie Leipzig
Nicht etwa im früheren Operettenhaus Centraltheater gegenüber der Thomaskirche hat dieses Ensemble seinen Spielort – dort residiert heute das Schauspiel – sondern im westlichen Stadtteil Lindenau, drei Kilometer vom Zentrum entfernt. Dort eröffnete die Brauerei C.W. Naumann 1912 ein Konzert und Ballhaus mit Bierschwemme und kleiner Bühne. Bis zur Eröffnung des neuen großen Hauses 1959 diente die „MuKo“, so nennt man Gebäude und Ensemble in Leipzig liebevoll, als Behelfsspielstätte der Oper Leipzig. Heute findet man dort noch immer ein Publikum, das seinen Künstlern ergeben ist: Eine eigene Anrechtsreihe an einem Dienstagnachmittag, also werktags, ist wohl einmalig. Nach und nach wird das Haus hinter der schmucklosen Fassade erneuert. Erst vor kurzem bezog man das neue Funktionsgebäude mit einem neuem Probensaal, Garderoben und Depots.
Dem neuen Leitungsteam um Klingele und den Entertainer Cusch Jung geht es um künstlerische Verjüngung. Eine hohe und eigene Spielqualität hatte sich hier schon zu DDR-Zeiten herausgebildet, gefasst durch Tradition und Kontinuität wie sonst allenfalls in Wien, Budapest oder Dresden. Das lag auch an bis vor kurzem noch gespielten, in der DDR entstandenen Musicals wie Gerd Natschinskis „Mein Freund Bunbury“ und „In Frisco ist der Teufel los“ als Hommage an den 101-jährigen Komponisten Guido Masanetz. Regisseure wie Wolfgang Weit und Erwin Leister prägten die bis nach der Jahrtausendwende gültige Aufführungsform. Schwungvoll beschleunigt man hier jetzt die Neubewertung und Renaissance der Operette. Auf Nico Dostals „Prinzessin Nofretete“ folgt im Herbst Eduard Künnekes ausladendes, an der Lindenoper uraufgeführtes Hybrid-Opus „Die große Sünderin“.
Berauschende Momente mit Herzensdieb-Tenören
Das Leitungsteam durchbrach die Folge gängiger Musicals schon mit Weills „Love Music“ und Hape Kerkelings „Kein Pardon – Das Musical“. Seit einigen Jahren gehört hier die Pflege des einstigen Kapellmeisters des Leipziger Stadttheaters, Albert Lortzing, zu den Säulen des Spielplans: Nach der Erfolgstrias „Zar und Zimmermann“, „Der Wildschütz“ und „Der Waffenschmied“ kommt 2018 der zu Unrecht vergessene „Casanova“ heraus. Mit dieser gut kalkulierten Mischung erreicht die Musikalische Komödie etwas Außerordentliches: In ganz Leipzig sind die dortigen Premieren Tagesgespräch, sogar bei ganz eingefleischten Bach-, Reger- und Wagner-Anhängern. Hier ist sich jeder der nicht selbstverständlichen Bedeutung dieses Theaters mit Herz bewusst.
Das Orchester der Musikalischen Komödie steht in seinem Metier an der Spitze der Experten. Den schneidigen Bläserton, die flüsternden Geigen haften nach einer „Csárdásfürstin“ oder „My Fair Lady“ noch lange im Ohr. Hier findet auch der Operettenworkshop in Kooperation mit dem Dirigentenforum des Deutschen Musikrats statt. Und an wohl keinem anderen Theater stehen Abend für Abend zwei so einschmeichelnd gewinnende Herzensdieb-Tenöre wie Adam Sanchez und Radoslaw Rydlewski auf der Bühne. Man will die Zeit nicht zurückdrehen, aber manchmal macht man es, etwa in den flüchtig-berauschenden Momenten von „Wiener Blut“ oder Frank Wildhorns „Dracula“. Diese Spannweite ist in Leipzig-Lindenau ebenso stark wie der künstlerische Zugriff, zum Glück aller Besucher.
Dokumentation über die Musikalische Komödie Leipzig: