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Porträt Schloss Britz

Neu-Arkadien in Alt-Britz

Neukölln schenkt Berlin ein kleines feines Opernhaus: den Kulturstall

vonVolker Tarnow,

„Wir Männer aus Berlin und Neukölln, wir wissen leider nicht, was wir wölln“: So dichtete Kurt Tucholsky 1927. Leider ist das Metrum der Zeile ebenso anfechtbar wie ihr Inhalt. Man mag Tucholsky zugute halten, dass 1927 in Neukölln nur die Mietskasernen auffielen, Karstadt am Hermannplatz und die Britzer Hufeisensiedlung waren noch im Bau. Kulturell richtig aufgeholt hat der bevölkerungsreichste Berliner Bezirk ja auch erst in den letzten zwei Dekaden; überregionale Medien assoziieren zu ihm zwar immer noch die Rütli-Schule, aber die kreativen Gegenkräfte sind längst am Werk. Neuköllner wissen nicht, was sie wollen? Von wegen!

Der als „Problemkiez“ stigmatisierte Bezirk wehrt sich vehement gegen die Herabstufung durch journalistische Rating-Agenturen. Und zwar auf die sinnvollste, nämlich nachhaltigste Art: Er investiert in Kultur. So wurde innerhalb von drei Jahren aus dem denkmalgeschützten Gutshof im Ortsteil Britz ein Kulturzentrum. Dazu gehören die schon vorher hier ansässige Musikschule, das heimatkundliche Museum, eine noch im Bau befindliche Freilichtbühne und ein Opernhäuschen für 270 Besucher. Es befindet sich im umgebauten Kuhstall und nennt sich daher Kulturstall. Die Eröffnung feierte man Anfang September, natürlich mit Beethovens Pastorale. Denn ländliche Düfte gehören zur Historie des Ortes und somit zum Konzept. Auf einer großen Weidefläche tummelt sich buntscheckiges Viehzeug wie im 18. Jahrhundert, als auf dem Rittergut eine mustergültige Bewirtschaftung begann. Geistiges und architektonisches Zentrum der Anlage ist nach wie vor das benachbarte Schloss Britz.

Der Einfall mit dem Kulturstall stammt von Volkmar Bussewitz, der lange Jahre die Musikschule „Paul Hindemith“ geleitet hat, benannt nach ihrem berühmtesten Lehrer. Glücklicherweise unterstützte das Rathaus dieses ambitionierte Projekt: Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, gebürtiger Neuköllner, boxte die Sache durch alle Gremien und machte reichlich Dampf. Am 5. Dezember 2007 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung den Umbau des Gutshofes, zwei Tage später rückten die Bagger an. Für 14 Millionen Euro, von denen zwei Millionen über „gastronomische“ Mieteinnahmen zurückfließen sollen, ist in Britz ein nicht nur für Berlin einmaliges Gebäude-Ensemble entstanden. Optisch beherrscht wird es vom originalen Ziegelstein; die Innenräume, also Opernsaal, Foyer und Backstage-Bereich, wurden qualitativ hochwertig und ästhetisch ansprechend gestaltet. Besonderer Blickfang: das am Kulturstall klebende Schweizerhaus, in dem heute ein Restaurant gehobene Landhausküche offeriert. 

Der Saal selbst besticht durch exzellente Akustik. In ihm wird es nunmehr solche Raritäten wie Paisiellos La molinara oder Rousseaus Le divin du village geben, die bislang nur auf behelfsmäßigen Brettern gezeigt werden konnten. Den Neubeginn machte jetzt Pergolesis Livietta und Tracollo. Unbekannte Buffo-Opern in deutscher Sprache, gern respektlos aufgebrezelt, das ist Bussewitzens Markenzeichen und wohl auch seine Marktlücke. Künstlerisch agiert die Sommeroper Britz schon seit 2003 auf hohem Niveau – jetzt besitzt sie endlich die geeignete Spielstätte. Romantischer kann selbst Tucholskys Traumort „Heidelberg in Wien am Rhein“ nicht sein – und außerdem ist Britz mit der U-Bahn viel schneller erreichbar.

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