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Porträt Nico and the Navigators

Die Kantaten sind frei

Nico and the Navigators kreieren eine musikalisch-körperliche Kreuzfahrt im Kirchenschiff

vonThomas Hahn,

Es ist Karfreitag, und Nicola Hümpel sitzt im Auto. Am Ostermontag werden in der Erfurter Predigerkirche die Proben zu Cantatatanz beginnen – eine Produktion, die am 23. und 24. Juni in der Berliner Zionskirche gezeigt werden wird. Drei Musiker, ein Sänger und eine Tänzerin werden ausloten, wie sie gemeinsam Johann Sebastian Bach im Kirchenraum begegnen können. Tanz, künstlerische Recherche und vielleicht sogar Humor im Kirchenschiff?

„Durch Try and Error“ will die Kapitänin der Kompanie „Nico and the Navigators“ zusammen führen, was nicht für jeden zusammen gehört. Darin liegt der Sinn dieser Arbeit. „Distanzen aufbrechen“, darauf kommt sie immer wieder zu sprechen. Für alles offen sein. Deshalb werden auch die Kantaten erst während der Proben endgültig ausgewählt und zu einem Programm zusammengestellt. „Wir wollen Bachs Musik nicht neu erfinden, beanspruchen nur ein paar kleine Freiheiten in den Verlängerungen oder Übergängen, immer in Liebe zu Bach.“ Die Regisseurin und Choreografin sucht einen unverkrampften Umgang der Kunstsprachen.

Der Countertenor Terry Wey arbeitet bereits zum zweiten Mal mit der Star-Tänzerin Yui Kawaguchi. Da steht sie für Mysterium und Verlockung, er für das Geerdete, für Gelassenheit und Gutmütigkeit. „Terry ist kein extrem körperlicher Typ. Er bewegt sich nicht besonders viel, aber in seiner Mimik und seiner Gelassenheit hat er eine sehr persönliche Ausdrucksweise gefunden. Er benutzt keine künstlichen Gesten und er hat einen sehr feinen Humor, den man wahrnimmt, wenn er auf Tänzer trifft. Da lässt er an sich fummeln, an seinem Kopf kratzen usw. Er ist in seiner Kunst so souverän, dass er das zulassen kann.“ Zur Belohnung darf er sich einige Kantaten aussuchen, zu denen er besonders gerne darstellerische Züge erforschen möchte.

Bereits in der vorherigen Produktion Anaesthesia zeigte er ein schelmisches Zusammenspiel mit Kawaguchi, in dem beide ihre Persönlichkeiten ausspielen und vor Selbstironie nicht zurückschrecken. Für Cantatatanz hat Hümpel nun auch die Musiker gezielt wegen ihrer Bereitschaft engagiert, darstellerische Nuancen einzubringen. Der Gambist Jakob David Rattinger und die Barockgeigerin Mayumi Hirasaki werden daher „kleine mentale Aufgaben bekommen, etwa, ihr Instrument zu begehren oder zu beschützen“ und somit auch als Figuren präsent sein.

„Wir wollen Spaß haben, aber so dass es Bach zu Gute kommt. Es wird ein inszeniertes Konzert, in dem Alte Musik im Vordergrund steht,“ sagt Nicola Hümpel zwar, doch das wahre Ziel ist, „Freiheit zu vermitteln.“ Und wenn Wey Wer Sünde tut, der ist vom Teufel aussucht, dann nicht, um von der Kanzel zu predigen. „Zu den leicht liturgischen Texten soll der Sänger selbst Distanz finden. Mich interessiert, was dabei mit seinem Körper und Geist passiert,“ sagt Hümpel.

Besonders gespannt ist sie darauf, welches Publikum den Weg in die Zionskirche finden wird. Ein jüngeres, aus Neugier auf die Tänzerin? Oder ein gesetzteres, für das die Botschaft im Vordergrund steht? Zuletzt befasste sich Hümpel für die Pasticcio-Oper Anaesthesia drei Jahre lang intensiv mit Georg Friedrich Händel. „Bach und Händel lebten und komponierten exakt zur gleichen Zeit, in einer Epoche, die noch unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges stand. Doch der eine komponierte für einen inneren Reinigungsprozess, der andere für die damalige Eventkultur.“ Mit dem Kulturevent in der Kirche führt Navigatorin Hümpel beide Ansätze zusammen.

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